HeForShe und SheForHe – Karriere und Familie gemeinsam gestalten

Gemeinsam stark, gemeinsam erfolgreich, alles Begriffe, die wir als reflektierte Menschen unterschreiben würden. Wenn es aber um das Thema „Gleiche Chancen für Männer und Frauen“ geht, entsteht meist der Eindruck, dass es ein Gegeneinander sei, ein Kampf der Frauen gegen die Männer, damit sie auch einen Teil des Kuchens abgekommen. Die Rhetorik rund um das geplante Gesetz für mehr Frauen in den Vorständen, zeigt, dass viele momentan denken, dass sich nur durch zusätzlichen Druck etwas bewegen wird. Dabei wissen wir längst, dass Druck alleine nicht zum Erfolg führt, schon gar nicht bei Themen des kulturellen Wandels, und nichts anderes ist die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Entscheidungspositionen in Wirtschaft und Gesellschaft.

 

Daher braucht es eine Quote+, die von Anfang an signalisiert, dass es eine Quote eben auch für Männer in CARE-Tätigkeiten, Kinderbetreuung, etc. braucht. Denn dann würde man sich die Frage stellen, warum in bestimmten Berufen nur Frauen und in anderen nur Männer anzutreffen sind. Und genau darum geht es: eine öffentliche Diskussion was wir als Gesellschaft wirklich wollen. Wollen wir, dass Mädchen und Jungs nach wie vor eingeschränkt bei der Berufswahl sind, dass die einen ihre Emotionen runterfahren, da es nicht zum Mannsein passt, und andere sich jegliche Dominanz verkneifen, da es nicht zum Frausein passt? Ist uns eigentlich klar, wie wir uns und unsere Kinder dadurch nachhaltig beschränken? Um aus diesem Teufelskreis rauszukommen, bedarf es eines neuen Bewusstseins, dass Männer nicht nur Täter und Frauen nicht nur Opfer sind. Denn nur wenn wir erkennen, dass beide etwas zu gewinnen haben, werden wir dem Ziel näherkommen. Die Vereinten Nationen setzen mit ihrer Kampagne „HeForShe“, die bereits 2014 gestartet wurde, genau hier an. Männer als Alliies (Unterstützer) gewinnen, damit sie mit anderen Männern und Frauen in den Dialog gehen und sich bewusst machen, dass es ihr Engagement braucht, damit ihre Söhne und Töchter eines Tages die gleichen Chancen haben. Denn nur wenn Männer in ihren Peergruppen für Gleichberechtigung einstehen, Frauen als gleichwertige Partnerinnen wahrnehmen und erleben, dass ihr Leben damit auch einfacher wird, werden sich andere auf den Weg machen.

 

Nicht wegschauen, sondern sich als Betroffene einmischen, ist die Devise. Denn viel zu lange wurde weggeschaut bei:

 

Gewalt gegen Frauen, Homophobie, schlecht bezahlten Frauenberufen, geringer Lebenserwartung von Männern, Burnout und Depressionen, Vereinsamung von Männern im Alter, Suchtmittelkonsum, rein männlich besetzten Vorständen, Grundschullehrkörpern, die nur aus Frauen bestehen, und vielem mehr.

 

Es geht darum zu verstehen, dass sowohl Männer als auch Frauen momentan die Verlierer sind.

 

Daher geht es neben HeForShe auch um SheForHe. Stehen wir füreinander ein und machen wir uns auf den Weg zu einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen. Und um dies zu erreichen: Gehen wir in den Dialog. Mischen wir uns ein. Unterstützen wir uns gegenseitig, wahrzunehmen wie sehr uns die uns zugewiesenen Rollen einschränken. Seien wir wachsam, wenn eine Entweder-Oder Rhetorik regiert anstatt einer Sowohl-als-auch Mentalität. Seien wir mutig und mischen uns ein, wenn wir sehen, dass es um ein Gegeneinander statt um ein Miteinander geht.

“Erst durch Individualität entsteht ein runder Mensch” – Vorstandsgespräch mit Daniel Just, BVK

Zwei kleine Kinder jagen sich kreischend zwischen offenen Bürotüren hin und her. Dazwischen schlendert Daniel Just entspannt den langen Gang im siebten Stock eines modernen Bürokomplexes im Münchner Stadtteil Bogenhausen entlang. „Hier tobt das Leben“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Bayerischen Versorgungskammer gut gelaunt, begrüßt mit einem verbindlichen Handschlag, nimmt sofort die Jacke ab und überlässt mit einer weiten Armbewegung den Vortritt in sein Büro – ein Gentleman der alten Schule. Im einstündigen Gespräch, zu dem er auch die Gleichstellungsbeauftragte der BVK Susanne Obermaier eingeladen hat, erweisen sich lediglich seine Umgangsformen als „alte Schule“. Seine Arbeits- und Lebenseinstellung ist State of the Art. Im Interview mit dem Memorandum für Frauen in Führung legt der gebürtige Berliner seine Sichtweise auf flexibles Arbeiten, Frauen im Vorstand und Männern in Elternzeit dar und gibt dabei auch viel Privates preis. Transparenz in warmherziger und menschlicher Form ist ihm wichtig – „Dann haben auch meine Mitarbeiter das Gefühl, Mensch sein zu dürfen“, sagt Daniel Just und fügt hinzu: „Erst durch Individualität entsteht ein runder Mensch und dadurch wird er für mich wertvoll – wertvoll fürs Team und fürs gesamte Unternehmen.“

 

Es ist ein Wandel in der Gesellschaft zu spüren – jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist neben beruflichem Erfolg das Privat- und Familienleben sehr wichtig. Wie bewerten Sie diese Entwicklung aus Sicht der Unternehmensspitze?

Daniel Just: Ich habe vor der BVK lange in der Finanzbranche gearbeitet. Dort kamen junge Männer sehr früh nach oben, weil sie intelligent und ehrgeizig waren, gute Ausbildungen und Power hatten und sehr viel Kraft in ihre Arbeit legten, weniger ins Private. Aber es zeigte sich, dass sie auch schnell wieder rausfielen, weil sie an ihrer sozialen Kompetenz scheiterten.

Ich bin der festen Überzeugung, dass sich Führungskompetenz aus Lebenserfahrung und Zeit speist. Lebenserfahrung wird nicht durch den Job geprägt, sondern durch die Familie, Hobbies und Interessen. Wenn jemand – egal ob Mann oder Frau – seine Familie managt und dabei immer wieder flexibel und situationsbedingt agieren muss, lernt er wahnsinnig viel für Führungsaufgaben. Er kommt oft mit chaotischen Situationen besser klar als jemand, der morgens stressfrei den Tag mit einem servierten Kaffee und vorgelegten Unterlagen in seinem Büro startet. Ich finde, man sollte sich organisch entwickeln. Das ist viel nachhaltiger.

 

Wie waren Sie als Berufseinsteiger?

Ich war sehr ehrgeizig, habe zwei Fächer parallel studiert – BWL und Informatik – aber gemerkt, dass noch andere Dinge im Leben zählen. Vor allem während eines Auslandsjahrs in Portugal bei Sonne, Strand und Leichtigkeit habe ich gelernt, dass es einen wunderbaren Ausgleich zwischen Machen und Genießen gibt. Das war eine wichtige Erfahrung.

 

Wie haben Sie sich das beibehalten?

Ich habe viele Hobbies: reiten, kochen, an Oldtimern basteln, Bücher schreiben, Golf spielen. Wenn es der Terminkalender erlaubt, schaffe ich mir zwischen Phasen hoher Belastung auch meine Freiräume, verlasse das Büro früher oder arbeite im Homeoffice. Für jeden Mitarbeiter bzw. jede Mitarbeiterin erproben wir gerade den Flexitag. Und unsere Beschäftigten werden fürs mobile Arbeiten technisch ausgestattet. Die Vereinbarkeit von Beruflichem und Privatem ist bei der BVK ein wichtiger Baustein der Arbeitnehmerzufriedenheit und Kompensator für die geringeren Gehälter, die im öffentlichen Bereich gezahlt werden im Vergleich zur freien Marktwirtschaft.

 

Überspitzt gefragt: Haben Sie keine Angst mit dem offensiven Werben für hohen Freizeitwert die weniger ehrgeizigen Bewerber anzuziehen?

Das hat nichts mit Ehrgeiz zu tun, sondern mit Lebensphasen! Nehmen wir die Leiterin unseres Vorstandsreferats. Sie ist eine kompetente und ehrgeizige Mitarbeiterin, aber alleinerziehend mit zwei Kindern und gerade in einer Phase, in der sie ihre Konzentration auch auf Privates legen muss. In dieser Lebensphase braucht es mehr Flexibilität bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, und das stößt bei uns auf Verständnis. In ein paar Jahren werden die Kinder selbstständiger, dann kann sie sich noch mehr auf die Karriere konzentrieren. Schwerpunkte können sich bei jedem ganz schnell ändern – denken Sie an einen plötzlichen Pflegefall in der Familie. Ein/e Mitarbeiter/in, der dann Verantwortung übernimmt und sich dafür im Job einschränkt, ist doch ethisch viel wertvoller, als jemand, der nur sein Ding durchzieht. Wenn ich so jemanden die Tür zuschlage, gebe ich Potential keine Chance. Wenn ich ihm aber Wertschätzung entgegenbringe, bekomme ich wirklich viel zurück.

 

Würden Sie Ihren männlichen Potentialträgern raten, in der Lebensphase mit kleinen Kindern selbstbewusst in Elternzeit oder Teilzeit zu gehen?

Wer als Mann bei der BVK als Referatsleiter oder Abteilungsteiler sagt: ich nehme mir Elternzeit und nehme das nicht im Minimum, sondern teile das gleichermaßen mit meiner Frau, ist nicht stigmatisiert. Wir haben mittlerweile auch einige Männer in Führung, die in Teilzeit oder im Homeoffice arbeiten, um sich in die Kindererziehung einzubringen – was für mich ein noch größerer Gradmesser der Gleichstellung ist als wenn das eine Frau macht.

Als bei mir das Thema Familienplanung aktuell war, wäre das noch nicht möglich gewesen. Aber ich hätte es trotzdem gemacht und werbe auch jetzt dafür, dass jeder selbstbewusst seinen eigenen Lebensplan verfolgen soll. Mein persönlicher Plan sah so aus: Meine Frau wollte gerne erst ihre Professur haben – sie ist eine von zwei Frauen unter 50 Professoren für Molekularbiologie – und sich dann dem Kinderkriegen widmen. Sie wäre danach relativ schnell zurück auf ihre Professur gegangen und ich hätte die Kinderbetreuung übernommen. Ich war damals Kapitalvorstand bei der BVK. Mir war klar, dass mich keiner mehr für voll nimmt, wenn ich als Mann in Babypause gehe. Deshalb wäre ich ausgestiegen, hätte mich erst mal ein paar Jahre darauf konzentriert und dann versucht in die Politik zu gehen. Wer weiß, vielleicht hätte mir die Kombination aus Finanz-Background und Hausmann ein paar Wählerstimmen eingebracht. Leider war uns dieses Glück nicht vergönnt. Meine Frau hat ihre Professur letztendlich zu spät für die Kinderplanung bekommen. Danach hat es mit den Kindern nicht mehr geklappt. Diese bittere Pille mussten wir für unsere Karrieren schlucken.

 

Gerade auf Topetagen ist die Vereinbarkeit von Kind und Karriere für Frauen immer noch schwierig und ein Grund dafür, warum es immer noch nicht viele Frauen bis nach ganz oben schaffen. Auch bei Ihnen…

Wir sind ein traditionelles Unternehmen. Wir haben das „Memorandum für Frauen in Führung“ unterschrieben, wir haben ein Positionspapier „Mixed Leadership – für mehr Frauen in Führung“ verabschiedet – wir wandeln uns, aber es braucht Zeit. Wenn wir aktuell auf den BVK-Vorstand blicken: nur Herren. Eine Ebene darunter, Bereichsleitung: nur Herren – bis auf eine Dame in der Stellvertretung, Frau Draws. Eine Ebene darunter, Abteilungsleitung: ja, da kommen dann vereinzelt Damen vor. Auf Referatsleiterebene haben wir bereits einen repräsentativen Frauenanteil. Und wenn wir auf unsere aktuellen Berufseinsteiger schauen: 11 Neuankömmlinge, 10 davon sind Frauen. So. Das steht exemplarisch für unsere Neueinstellungen, weil Frauen früher reif werden, die besseren Noten haben, in den Vorstellungsgesprächen besser rüberkommen und ihre Kraft auf die Straße bringen. Dieses Potential wird sich mit etwas Geduld bis nach oben arbeiten.

 

Kann das eine Quote beschleunigen?

Ja, mit Sicherheit. Ich habe vor kurzem ein kluges Statement dazu gehört: Man sollte eine Frauenquote von Minimum 30% einführen und wenn diese erreicht ist, sofort wieder abschaffen. Denn es braucht Seilschaften und Netzwerke, um nach oben zu kommen. Wenn diese auch für Frauen installiert sind, verselbständigen sie sich von selbst und brauchen keine Quote mehr.

 

Warum gibt es dann noch keine Quote bei der BVK?

Das hängt mit unserer Struktur zusammen. Die BVK ist mitgliederverwaltet. Blicken wir auf unsere Gremien – beispielsweise die Apothekerversorgung – dann sitzen da zu 80% Männer, obwohl die Geschlechterverteilung von Apothekerinnen und Apothekern genau umgekehrt ist. Und diese Männer sind das gewohnt, sie kennen es nicht anders und finden es auch gut so, wie es ist. Auf dieser Grundlage gestaltet sich eine Quotendiskussion etwas schwierig. Diese Schale gilt es aufzubrechen und Modelle im Einzelnen zu schaffen, bei denen wir sagen können: Schaut her! Es funktioniert doch!

 

Welchen Beitrag kann die BVK dafür konkret leisten?

Viele gute junge Frauen gehen bei uns beruflich einen vielversprechenden Weg bis sie in das Alter der Familiengründung kommen. Wenn sich die meisten Frauen dann bewusst für eine traditionelle Rollenverteilung entscheiden und zur mir sagen, sie möchten erstmal zu Hause bleiben und den Mann in die Arbeit schicken, dann kann ich sie nicht vom Gegenteil überzeugen. Und das möchte ich auch nicht. Aber unsere Aufgabe muss sein, die Brücke zu schlagen. Zum einen müssen wir in der Zeit, in der sie nicht arbeitet, den Kontakt halten und sie immer wieder einbinden. Danach müssen wir ihr flexible Angebote für die Rückkehr machen sowie ihr Vertrauen entgegenbringen und sagen: in der Zeit, in der du deine Familie gemanagt hast, hast du für das Thema Führung viel gelernt, wir zählen auf dich! Wenn sie dann wieder an Bord ist, ist noch nichts verloren.

Und meine Botschaft an Frauen ist: Traut euch! Ich habe den Eindruck – [sein Blick geht zur Gleichstellungsbeauftragten der BVK] Frau Obermaier, Sie können das besser beurteilen – dass Männer risikofreudiger sind und sich selbstbewusster neuen Herausforderungen stellen. Ich hatte auch vor jedem Karriereschritt Zweifel, ob ich das schaffe. Aber ich habe mich einfach rein gestürzt, habe Fehler gemacht, daraus gelernt und war dann schon irgendwann der Aufgabe gewachsen. Männer haben manchmal keine Ahnung, aber machen einfach.

 

Susanne Obermaier: Ich finde, die Zurückhaltung und Bedachtheit von Frauen ist eine sehr hilfreiche Eigenschaft, die in der Arbeitswelt völlig verkannt wird! Ja, Frauen sind nicht so risikofreudig. Aber was die Risikobereitschaft der Männer bringt, hat uns die Bankenkrise gezeigt. Untersuchungen haben ergeben, dass es nicht so weit gekommen wäre, wenn mehr Frauen das Sagen gehabt hätten. Eine Arbeitswelt, die mehr Schein als Sein belohnt, ist meines Erachtens Vergangenheit und nicht Zukunft.

 

Daniel Just: Das ist richtig. Die Ergänzung aus beiden Komponenten bringt den Erfolg. Wahrscheinlich arbeite ich deshalb so gerne mit Frauen zusammen.

 

Welche Visionen haben Sie in Bezug auf die zukünftige Arbeitgeberattraktivität der BVK?

Was ich bei der BVK im Vergleich zur Finanzwirtschaft sehr gut finde: Der Unterschied zwischen dem Gehalt einer Sekretärin und eines Vorstands ist nicht so groß. Deshalb haben wir ein viel stärkeres Wir-Gefühl und Verständnis füreinander. Klar muss Leistung honoriert werden, aber nicht ad absurdum – da sind die Banken zu weit gegangen, das haben wir bei der Finanzkrise gesehen. Bescheidenheit und Balance ist ein großer Vorteil, der für die Kammer als Arbeitgeber der Zukunft spricht.

Hinzukommt, dass wir nicht von einem anderen Konzern übernommen werden können und nicht so stark im Wettbewerb stehen. Wir können aus der Ruhe heraus eine Kraft entwickeln und müssen nicht jeder Mode hinterherlaufen, nur damit wir sexy sind. Wenn von oben alle zwei Jahre eine Restrukturierung angeordnet wird, entsteht durch die Neuorganisation auch immer ein hoher Kraftverlust bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir hingehen fahren einen Rhythmus des Wandels, der dem Menschen viel näher ist. Wenn man sich zu wenig bewegt, driftet man ab und wird langweilig. Wenn man sich zu viel bewegt, begeht man die gleichen Fehler wie andere. Diese Balance zu halten, das ist die Kraft der BVK – und die ist enorm an dieser Stelle!

 

Interview: Julia Schmid

 

In diesem Beitrag erzählt Christine Draws, oberste Führungsfrau der Bayerischen Versorgungskammer, mit welchen besonderen Herausforderungen Frauen in exponierter Position konfrontiert werden:

Das Token-Phänomen: Führungsfrauen unter Beobachtung

 

In diesem Interview mit Dr. Maike Kolbeck, Referatsleiterin bei der Bayerischen Versorgungskammer, geht es um die Vereinbarkeit von Kind und Karriere:

Mutmacher.in für Karriere und Familie

 

Wie ein Senior Manager bei der Unternehmensberatung KPMG seine Elternzeit erlebt hat, erfahrt ihr hier:

„Elternzeit ist kein Karrierehemmnis“

Auch Männer wünschen sich mehr Gleichberechtigung

Die Welt wird immer komplexer. Jeden Tag werden von uns zahlreiche Entscheidungen gefordert: welchen Stromanbieter brauchen wir, wie können wir uns gesund ernähren, welchen Berufsweg sollen wir einschlagen. Und dabei versuchen wir es auch noch richtig zu machen, ohne jedoch zu wissen wie das Richtige aussehen könnte. Die allgemeine Verunsicherung führt sichtbar dazu, dass starke Führer wieder im Kommen sind und nachgefragt werden. Wir sind es gewöhnt, von Männern geführt und regiert zu werden. Je stärker desto besser ist die stereotype Vorstellung. Was aber, wenn die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung auf leisen Sohlen daher kommt, wenn wir gar nicht merken, dass wir zu unserem Besten ein wenig angestupst werden?

 

Das ist die Idee des Nudging, als Schlagwort für einen libertinären Paternalimus, der davon ausgeht, dass wir Unterstützung brauchen, um die Dinge zu tun, die uns gut tun. Ist das das Ende des freien Willens? Lassen wir jetzt über uns bestimmen, zwar freundlich aber bestimmt? Dieser Frage gilt es auf den Grund zu gehen.

 

Was wenn schon immer über uns bestimmt wurde, ohne dass wir es gemerkt haben. Wird nicht schon bei der Geburt des Kindes die all entscheidende Frage gestellt: Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Und dann geht es los mit den Erwartungen, den subtilen Zurechtweisungen was sich für wen wie gehört oder auch nicht. Und mit den Beschränkungen, den Selbstbeschränkungen und denen der Anderen.

 

Was ist möglich, was kann man/frau erreichen? Glaubenssätze bilden sich, die tief aus unserem Innersten dazu beitragen, dass die Gesellschaftsordnung bestehen bleibt und Männer weiterhin in den entscheidenden Machtpositionen unangefochten die Marschrichtung vorgeben. Frauenförderung, Diversity Programme und Frauenquoten setzen seit vielen Jahren genau da an, haben aber nur wenig bewirkt. Denn die menschliche Bequemlichkeit hält uns nicht nur davon ab, uns täglich ausreichend zu bewegen oder uns gesund zu ernähren, sondern auch gemischte Teams in unseren Unternehmen zu befördern, weil sie nachweislich bessere Ergebnisse bringen. Braucht es daher einen neuen Ansatz, ein freundliches, unbemerktes Anstupsen, das uns in die für uns angenehme Lage bringt, gleichberechtigt miteinander umzugehen? Muss man nun aber befürchten, dass Altfeministinnen trojanische Pferde in die Organisationen bringen, um dann die männlichen Systeme von Innen auszuhöhlen? Ist die Koppelung des Bonus an messbare Ergebnisse bei der Frauenförderung schon Nudging, welche Rolle spielt Mentoring in der Kulturveränderung hin zu Chancengleichheit und sind sanfte Vorständinnen ein Angriff auf die männliche Kultur in den Vorständen?

 

Relevante Studien zeigen, dass sich Männer wie Frauen heutzutage mehr Gleichberechtigung wünschen. Einige Männer haben längst begriffen, dass sie durchaus etwas davon haben, wenn sie keine Alleinernährer mehr sein müssen. Dennoch ist die Verunsicherung groß: Lieben uns die Frauen noch, wenn wir nicht Karriere machen wollen, ist eine häufig geäußerte Angst. Der Druck ist da und dieser fördert bekanntlich das stereotype Denken. Sanftes Anstupsen statt Zwang, kann das der Weg sein? Ist er mit unseren Werten vertretbar? Bietet er letztlich ein Gegengewicht zu der männlichen Macht- und Mikropolitik in Organisationen oder ist er simple Manipulation, und damit Wolf im Schafspelz?

 

Autorin: Dr. Nadja Tschirner

Dieser Artikel ist auf Huffingtonpost.de erschienen

 

Dr. Nadja Tschirner spricht über dieses Thema auch bei “Beyond Good”. Die Ethik-Konferenz soll inspirierenden Input geben wie jeder einzelne in einer immer komplexer und widersprüchlicher werdenden Welt herausfinden kann, was „richtig” ist, wie wir unser Handeln vor uns selbst und gegenüber anderen begründen können, und wie wir es noch schaffen können, jeden Morgen in den Spiegel zu schauen. Führende Denker und Denkerinnen diskutieren am 9. November in München Ethik in all ihren Facetten – kontrovers, tiefsinnig und erkenntnisreich. Speaker sind unteranderem Dr. Nadja Tschirner, Professor Julian Nida-Rümelin und Richard David Precht. Mehr über Beyond Good erfahrt ihr in unserem Blogbeitrag:

 

Nudging für mehr Chancengleichheit?

 

Und hier geht’s zu einem Interview mit Gender-Expertin Simone Schönfeld über Chancengleichheit in Führungspositionen:

„Es liegt nicht an den Frauen“

Neue Studie belegt Erfolg durch Mixed Leadership

Seit die Große Koalition im Jahr 2014 in den Koalitionsverhandlungen die Einführung der Frauenquote von 30% in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen vereinbart und 2015 schließlich verabschiedet hat, ist Deutschland gespalten in Für- und Gegensprecher der Quote. Das wohl häufigeste Gegenargument: Die Geschlechterregelung verhilft unqualifizierten Frauen zum Erfolg, während besser qualifizierte Männer das Nachsehen haben. Dass dieses Argument völlig haltlos ist, haben nun Wissenschaftler der London School of Economics and Political Science am Beispiel von Schweden gezeigt. So viel will vorab schon einmal gesagt sein: Genau das Gegenteil ist der Fall, die Frauenquote hebt das allgemeine Kompetenzniveau in gemischten Führungsteams!

 

Wie eingangs bereits erwähnt, hat die Frauenquote so manche Diskussion entfacht – mit dem allgemeinen Fazit: „Was bringt es überhaupt mehr Frauen in Führung zu haben?“. Damit ist auch immer die Frage verbunden, ob es nicht sinnvoller sein könnte, alles zu lassen wie es ist. Schließlich führt der angestrebte Kulturwandel erst einmal zu Verunsicherung. Wollen Frauen überhaupt führen? Was passiert mit den Männern, wenn mehr Frauen in Führung kommen? Was bedeutet es für das partnerschaftliche Miteinander von Frauen und Männern, wenn die Rollen nicht mehr so klar verteilt sind, im Sinne „er macht Karriere und sie kümmert sich um die Kinder“. Die Verunsicherung führt dazu, dass gerne auf Gewohntes zurückgegriffen wird, gerne auch auf bekannte Argumente.

 

Umso wichtiger ist es, dass den Fragen aus verschiedenen Perspektiven begegnet wird. Eine Perspektive ist die, sich anzuschauen, wer wie von dem Wandel betroffen sein wird. Eine Studie, die unter dem Dach der renommierten London School of Economics entstanden ist, hat nun gezeigt, dass sich vor allem die mittelmäßigen Männer warm anziehen müssen, wenn mehr Frauen in Führung kommen. Die Wissenschaftler Tim Besley (London School of Econimics), Olle Folke (Uppsala University), Torsten Persson (Stockholm University) und Johanna Rickne (Stockholm University) haben sich bei ihrer Erhebung auf die sozialdemokratische Partei in Schweden konzentriert, die sich freiwillig im Jahr 1993 auf eine interne Frauenquote einigte. Diese machte damals von sich reden als die “Krise des mittelmäßigen Mannes”, weil davon ausgegangen wurde, dass mit der Quote inkompetente Männer in Führungspositionen am meisten zu befürchten hätten. Und tatsächlich, die neue Studie belegt: Dort, wo sich die Quote am deutlichsten auswirkte, stieg auch die Qualifikation der männlichen Politiker und das allgemeine Kompetenzniveau. Im Durchschnitt sorgten zehn Prozent mehr Frauen für einen dreiprozentigen Anstieg der Anzahl kompetenter Männer. Bei den untersuchten Frauen der sozialdemokratischen Partei waren keine Kompetenzunterschiede vor und nach der Quote festzustellen – was belegt, dass es so oder so nur die Besten nach oben schaffen.

 

Ist doch eigentlich logisch, oder? Wenn hervorragende Frauen in Positionen vorrücken wollen, die bisher von Männern besetzt waren, erhöht sich natürlicherweise die Konkurrenz. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass mittelmäßige Männer, die vor der Quote durch gut funktionierende Buddy-Netzwerke oder der simplen Tatsache, dass Männer Männer bevorzugen, in Führungspositionen gelangt sind, mit der Quote schlechtere Karten haben. Daher kann man nicht erwarten, dass alle Männer große Freude beim Thema Frauenquote zeigen und sich Mythen um einen Qualifikationsabfall durch Mixed Leadership hartnäckig halten.

 

Die Forscher sind sich einig: die Ergebnisse aus der schwedischen Politik lassen sich auch auf Unternehmen übertragen. Aus unternehmerischer Perspektive betrachtet, müsste die Stoßrichtung daher klar sein: will das Unternehmen den Erfolg ausbauen, macht es Sinn auf die Besten zu setzen, und ein Indikator kann dafür nicht das Geschlecht sein, sondern ausschließlich eine gendersensible Auswahl der Potenzialträgerinnen und Potenzialträger, die darauf achtet, dass Männern nicht automatisch der Vorzug gegeben wird, weil wir alle stereotyp glauben, dass Männer die geborenen Führungkräfte sind.

 

Autorin: Dr. Nadja Tschirner, Geschäftsführerin von Cross Consult GbR

Gendersensible Sprache in Stellenanzeigen

Sprache kann Frauen Perspektiven eröffnen und leider auch verschließen. Es ist nur eine Workshop-Übung, doch das Ergebnis öffnet Augen, Ohren und Denken: Die eine Gruppe wird gebeten, berühmte Schriftsteller, Politiker, Sportler, Künstler zu nennen. Die andere Gruppe soll berühmte Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Politikerinnen und Politiker, Sportlerinnen und Sportler, Künstlerinnen und Künstler auflisten. Erraten Sie das Ergebnis? Die zweite Gruppe nennt bis zu 30 Prozent mehr Frauen – unabhängig vom Geschlecht der Teilnehmer.

 

Das zeigt: Allein die Wortwahl macht Unterschiede zwischen Frauen und Männern – und grenzt aus. Sprache ist von Traditionen und Gewohnheiten geprägt und sie hat Einfluss auf unsere Denkweise. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass Tätigkeiten, Berufe und Funktionen von Natur aus immer mit der männlichen Form umschrieben werden – Angestellter, Referatsleiter, Elektrotechniker, Schweißer, Berater….? Im Alltag hat diese gewohnte Sprechweise unterbewusst zu Folge, dass Frauen sich oft nicht gleichermaßen angesprochen und betroffen fühlen wie Männer.

 

Seit 2007 fordert daher das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz Stellenanzeigen, die nicht diskriminieren. Seither haben sich in der Praxis unterschiedliche geschlechtersensible Formulierungen eingebürgert, um dies zu umgehen:

  • Gearbeitet wird entweder mit dem Schrägstrich bei Endungen – z.B. “Verwaltungsangestellte/r”
  • Oder die männliche Funktionsbeschreibung wird in Klammern um ein m/w ergänzt – z.B. “Geschäftsführer (m/w)”
  • oder die Funktionsbezeichnungen werden gleichermaßen in weiblicher und männlicher Form aufgeführt – z.B. “Verkaufsleiterin/Verkaufsleiter”

Fakt ist jedoch: Während sich Männer von allen Formulierungen gleichermaßen angesprochen fühlen, erzielt bei Frauen nur die Dritte ihre volle Wirkung. Denn beim schnellen Überfliegen von Stellenanzeigen, werden die Kürzel am Ende oft gar nicht wahrgenommen. In der Regel finden allerdings diese Varianten bei Unternehmen die häufigste Anwendung, schließlich möchten sie ihr Inserat aus Kostengründen möglichst kurzhalten. Eine Erkenntnis, die sich beide Seiten ins Bewusstsein rufen sollten: Unternehmen, die Frauen für sich gewinnen möchten, sollten für mehr (Lese)Freundlichkeit beide Bezeichnungen nennen. Umgekehrt, sollten Frauen ihr Leseverhalten überprüfen und genau hinsehen.

 

Dass sich in dieser Hinsicht langsam etwas verändert – vor allem in den Unternehmen, die ihre Frauenquote steigern möchten –  zeigt beispielsweise eine Untersuchung der Metajobsuchmaschine Joblift, die rund 15 Millionen Stellenanzeigen der letzten zwei Jahre untersucht hat hinsichtlich Elemente, die eine Gleichstellung beider Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt fördern. Das Ergebnis: Frauen wurden in rund 1,8% aller Stellenanzeigen namentlich dazu aufgefordert, sich zu bewerben, vor allem in Ingenieurberufen (2015 waren es 1,7%). Das sind allerdings auch die Berufe, die überwiegend mit männlich besetzten Attributen in ihren Stellenausschreibungen arbeiten – sich quasi dann wieder den weiblichen Wind selbst aus den Segeln nehmen. Die Wissenschaft hat bestimmte Schlüsselwörter identifiziert, die in Stellenanzeigen vorwiegend mit Männern oder Frauen in Verbindung gebracht werden – von “verständnisvoll”, “zuverlässig”, “leidenschaftlich” fühlen sich beispielsweise eher Frauen angesprochen, “durchsetzungsstark”, “individuell”, “überdurchschnittlich” sind männlich definierte Formulierungen. Es ist belegt, dass sich Frauen von diesen maskulinen Attributen eher verunsichert fühlen, während Männer keinen Unterschied in ihrer Lesart machen. Für Unternehmen ist also wichtig zu beachten, dass es nicht nur auf geschlechtersensible Formulierungen hinsichtlich Wortendungen ankommt, sondern auch auf die Wortwahl.

 

Die Erkenntnisse der Sprachforschung zu geschlechtersensiblen Formulierungen haben im Übrigen auch Folgen für die unternehmensinterne Kommunikation und sollten auch hier berücksichtigt werden: Wenn Hausmitteilungen beispielsweise an “alle Mitarbeiter” gerichtet werden, sollten die Informierenden wissen, dass sich vielleicht ein Teil der Belegschaft nicht betroffen fühlt. Das “an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter” klingt sympathischer und einbeziehender. Diese Formulierung kann außerdem durch das Binnen-I verkürzt werden (“an alle MitarbeiterInnen).

 

Es gibt wenige Regeln für einen genderbewussten Sprachgebrauch. Es kommt sowohl bei Stellenanzeigen als auch bei der Unternehmenskommunikation vielmehr auf das Bewusstsein und die Haltung an – ein Unternehmen ist bemüht weibliche Funktionsbezeichnungen zu verwenden und nimmt sich der Ausgrenzungsthematik an. Allerdings muss fairerweise auch gesagt werden: Bemühungen hin oder her, Sprache ist und bleibt auch Gewohnheit und wenn die weibliche Beschreibung plötzlich von oben aufoktroyiert wird, kann dies beim Leser auch fremd oder erzwungen wirken.

 

Einen Ausweg im Berufsalltag bieten da geschlechtsneutrale Formulierungen: Leitung ersetzt Leiterin oder Leiter. Auch im Gerundium machen Tätigkeitsbeschreibungen meist keinen Geschlechterunterschied: Mit Studierenden oder Teilnehmenden sind Männer und Frauen gleichermaßen gemeint, auch Beschäftigte, Angestellte, Arbeits- und Führungskräfte ist neutral. Sprache ist ein Mittel, das Kreativität erfordert und Sensibilität. Insbesondere Führungskräfte sind deshalb auch dahingehend zu schulen, genauer hinzuhören und zu beobachten, wie das Gegenüber auf Aufträge, Informationen oder auch Kritik reagiert und letztlich auch Konsequenzen daraus zu ziehen und die eigene Wortwahl zu überdenken.

 

Autorin: Julia Schmid

 

 

Ausführlichere Informationen finden Sie in unserem Buch “Clever aus der Abseitsfalle. Wie Unternehmen den Wandel zu mehr Frauen in Führung gestalten.”

 

Lesen Sie auch unseren Beitrag: 10 Tipps, wie Unternehmen mehr Frauen gewinnen

 

Und hier geht’s zur Untersuchung von Joblift

 

Der Arbeitsmarkt wird weiblich – nur wann?

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sagt: Die Zukunft des Arbeitsmarktes ist weiblich. Die Frage ist nur die Geschwindigkeit, mit der die Zukunft zur Gegenwart wird. Dem ging Holger Klein von Radio Eins nach und interviewte MFF-Initiatorin Simone Schönfeld als Expertin für Frauen in Führung. Den Beitrag könnt ihr euch hier anhören:

 

 

Oder hier durchlesen:

“Die letzten Jahrhunderte, eher Jahrtausende wurden von Männern geprägt. Männer haben die Macht unter sich aufgeteilt, Gesetze geschrieben und den Zeitgeist bestimmt. Frauen mussten sich ihren gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft mühsam gegen Männer erkämpfen und müssen das – allen Gesetzen zum Trotz – auch heute noch. Frauen verdienen bei gleicher Leistung weniger Geld und in den Chefetagen sind sie auch unterrepräsentiert. Aber das scheint sich zu ändern. Die Zukunft des Arbeitsmarktes ist weiblich. Die Frage ist nur die Geschwindigkeit – sagt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Wovon die Geschwindigkeit abhängt, frage ich Simone Schönfeld, die Unternehmen in Veränderungsprozessen berät, insbesondere dabei, Frauen in Führungspositionen zu bringen.

 

Radio Eins: Frau Schönfeld, wovon hängt es ab, wie schnell die Zukunft der Arbeit weiblich wird?

MFF: Das hängt davon ab, wie sehr die Unternehmen und auch die Frauen und die Männer den Vorteil darin erkennen, dass wir zu einer diverseren Führungskultur kommen, die Frauen mehr Chancen gibt, sich in Führungsetagen zu etablieren und dort jeweils auch Verantwortung zu übernehmen.

 

Radio Eins: Sie sagen, die Männer, die Frauen, die Unternehmen. Wer bremst von den dreien?

MFF: Es bremsen alle drei, wenn ich ehrlich bin. Es bremsen die Unternehmen, weil sie mit den von Ihnen angesprochenen Strukturen über die Jahrhunderte gut gefahren sind, über die Jahrzehnte. Aber diese Strukturen jetzt ein Stück weit an ihr Ende kommen, verändert werden müssen. Die Männer natürlich, weil oftmals der Gedanke da ist, wir verlieren etwas, es könnte ein Risiko für uns darstellen. Und die Frauen auch, weil es Mut erfordert, neue Verantwortung zu übernehmen. Und deswegen braucht es auf allen drei Ebenen Mut und Engagement, das für sich zu gestalten.

 

Radio Eins: Sie sagen, dass die Strukturen verändert werden müssen. Warum kann man nicht alles so lassen, wie es ist?

MFF: Die Bedürfnisse der Menschen haben sich verändert. Sie haben die Studie des DIWs angesprochen. Es gibt viele Studien, die andere Wünsche der jüngeren Generation – Generation Y – belegen, nach einem anderen Verhältnis von Leben und Arbeit. Mehr Leben, in Anführungszeichen “weniger Arbeit” – verkürzt gesprochen. Darauf sind die Unternehmen noch nicht eingestellt. Sondern auch da geht es darum, bessere Modelle für die Worklife-Balance und die Vereinbarkeit anzubieten. Genau diese Themen bieten auch eine große Chance, mehr Frauen in Verantwortung zu bringen.

 

Radio Eins: Vor ein paar Tagen hat der EU-Kommissar Günther Oettinger sich bei einer Unternehmertagung über die Frauenquote lustig gemacht. […] Und das Publikum lacht mit ihm. Ist die Frauenquote eine lächerliche Idee?

MFF: Die Frauenquote ist keine lächerliche Idee, sie gibt einen wichtigen Impuls in die richtige Richtung, nämlich, dass es normal sein muss, dass Frauen Verantwortung in dieser Gesellschaft mitübernehmen – in der Politik, in den Parteien, in den Unternehmen. Gelacht wird, weil es ein Hilfsmittel ist, es sollte ja nicht das Ziel sein, dass wir auf Ewig eine Frauenquote brauchen. Sondern wir brauchen jetzt für eine gewisse Phase eine Quote, eine gesetzliche Unterstützung, einen Anstoß, damit wir dann in einen Prozess kommen, in dem es selbstverständlich ist bzw. gar nicht mehr von Bedeutung, ob Mann oder Frau an der Spitze eines Unternehmens steht.

 

Radio Eins: Ich lese auf der Webseite von Ihnen, dass es eines völlig neuen Ansatzes bedarf, um Frauen in Führungspositionen zu bringen. Was ist der neue Ansatz?

MFF: Der neue Ansatz ist, dass wir nicht mehr nur auf die Frauen schauen. Sondern wie wir es gerade angesprochen haben, die verschiedenen Akteure, die relevant sind, in den Blick nehmen. In den Unternehmen darauf schauen, welche Strukturen verändert werden müssen. Dass wir auch herausarbeiten müssen, welchen Mehrwert und welche Vorteile sich auch für Männer ergeben und wie wir deren Wünsche in diesen Veränderungsprozess integrieren können. Und wie wir so zu einer gemeinsamen Gestaltung der Arbeitswelt kommen, die auch den Bedürfnissen der zukünftigen Generationen besser entspricht, als es vielleicht momentan der Fall ist.

 

Radio Eins: Vielen Dank Simone Schönfeld, Beraterin und Co-Autorin des Buches “Clever aus der Abseitsfalle. Wie Unternehmen den Wandel zu mehr Frauen in Führung gestalten.”

Autorin: Julia Schmid