„Elternzeit ist kein Karrierehemmnis“

Väter, traut Euch!

 

Nur gut ein Drittel der Väter nimmt Elternzeit, die meisten davon gerade einmal zwei Monate. Warum nicht länger? Männer fürchten durch eine Elternzeit einen Karriereknick. Eine unbegründete Angst, wie jüngste Studien herausfanden. Mehr dazu in der SZ: Erst die Karriere, dann das Kind

 

Hier ein Interview mit einem Vater und Senior Manager bei KPMG, der es gewagt hat:

 

„Ich habe bis 16 Uhr Zeit, dann hole ich meine Tochter aus der Kita ab“, sagt Daniel Jagar, Senior Manager bei KPMG in Frankfurt zu Beginn des Interviews. Der 37-Jährige Vater zweier Mädchen (2,5 Jahre und 7 Monate) profitiert von den flexiblen Arbeitszeiten bei KPMG, einem der führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen in Deutschland und zeigt, wie er seine persönliche Life-Balance gestaltet. Ein Interview über seine viermonatige Elternzeit, Vorteile durch weibliche Vorgesetzte und selbstbewusstes Vatersein.


Elternzeit bei Vätern wird immer beliebter, allerdings nehmen die meisten nicht mehr als die gesetzlich festgeschriebenen zwei Monate Elterngeld in Anspruch. Wie kam es, dass Sie länger zu Hause geblieben sind?

Daniel Jagar: Ich habe auch ein bisschen herumgefragt und es hat mich wirklich verblüfft, dass niemand länger als zwei Monate zu Hause geblieben ist. Bei vielen mag das finanzielle Gründe haben. Bei uns war es so, dass meine Frau, die auch bei KPMG arbeitet, gerne im Winter vor Beginn der Busy Season wieder einsteigen wollte, um den Kontakt zu ihren Kunden zu halten – da habe ich die restliche Zeit bis zum Kitastart überbrückt und vier Monate Elternzeit genommen. Und festgestellt, dass ein Projekt auch mal ohne mich funktioniert und meine Teamkollegen diese Monate dankenswerter Weise gut überbrückt haben. Man meint ja immer, man sei in so viele Dinge involviert, dass gar nichts mehr ohne einen gehen würde. Aber klar geht das.

 

Und wie ist es bei Ihnen zu Hause gelaufen?

Ich muss zugeben: Am Anfang war ich schon ein bisschen nervös, plötzlich acht Stunden mit meiner Tochter alleine zu sein. Aber auch herausfordernde Situationen zu meistern, wie ein schreiendes Kind in der Öffentlichkeit zu beruhigen, hat mir total viel Sicherheit gegeben und Routine. Und es ist auch wichtig zu merken, wie anstrengend es ist, einen Tag mit Kind zu organisieren. Bei der Generation meiner Eltern waren Männer noch der Meinung, mit den Kindern zu Hause zu bleiben, sei keine Arbeit. Aber wenn man dann mal mehrere Monate den Haushalt organisiert, einkaufen geht, kocht, das Kind betreut, dann freut man sich wieder auf das Büro. Im Vergleich dazu geht es in der Arbeit ja wirklich ruhig und selbstbestimmt zu.

 

Sie sind nun zurück aus der Elternzeit. Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?

Wenn ich nicht beim Kunden vor Ort arbeite, bringe ich morgens unsere große Tochter zur KPMG-Kita und bin ab acht Uhr im Büro. Zwischen 15 und 16 Uhr hole ich sie wieder ab. Zu Hause verbringe ich erstmal Zeit mit meiner Familie. Wir kochen und essen zusammen, meine Frau bringt die größere Tochter ins Bett, ich die kleine. Wenn es ideal läuft, sitze ich gegen halb neun wieder am PC, telefoniere mit Kollegen aus den USA, oder arbeite E-Mails ab und lese Berichte. Ich bin sehr zufrieden und dankbar, dass das so funktioniert. Ich erlebe viel von und mit meinen Kindern. Dafür nehme ich gerne in Kauf, mich abends nochmal hinzusetzen, um zu arbeiten. Die Flexibilität, die ich vom Arbeitgeber erhalte, gebe ich auch gerne wieder zurück und beantworte auch mal samstags E-Mails. Klar, Freizeit und Arbeit verschwimmen dadurch etwas mehr, das muss man wollen und können. Aber ich finde es praktisch.

 

Wenn Arbeit und Freizeit verschwimmen, wie organisieren Sie sich im Job?

Bei Unternehmenstransaktionen geht es schon manchmal spontan und zeitkritisch zu. Aber mit deutschlandweit rund 150 Mitarbeitern sind wir eine so große Abteilung, dass wir absolute Flexibilität gewährleisten können. Ich arbeite nicht weniger als andere, ich verteile die Zeit nur anders und hole meine Tochter trotzdem von der Kita ab. Denn ich habe nichts davon, abends lange im Büro zu sitzen, um alles fertig zu machen und dann nach Hause zu kommen und meine Familie nur noch schlafend zu erleben.

 

Das ist nicht das typische Bild, das man von einem Unternehmensberater im Kopf hat. Findet hier ein Mentalitätswandel statt?

Ich habe schon das Gefühl, dass auch in unserer Branche verstärkt darauf geachtet wird, Frauen und Männer, die Elternzeit nehmen oder Teilzeit beantragen, nicht aufs Abstellgleis zu stellen. Das hängt bestimmt auch damit zusammen, dass mehr Frauen in Führungspositionen gekommen sind. Als ich hier angefangen habe, wurde eher noch ein klassischeres Rollenbild gelebt: Jetzt habe ich das Glück eine Chefin zu haben, die ihre Arbeit ebenfalls so verteilt, dass sie mit ihren zwei Töchtern zu Abend essen kann und am späteren Abend wieder weiterarbeitet. Ich hoffe, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen noch weiter steigt, damit wir alle davon profitieren können – nicht nur in dieser Hinsicht.

 

Wie organisiert sich Ihre Frau beruflich?

Bei unserer ersten Tochter ist sie nach acht Monaten in Elternzeit wieder in den Job zurückgekehrt. Jetzt bei der zweiten Tochter hängt es noch von der künftigen Betreuungssituation ab, wie wir uns organisieren. Wir sind wirklich in der glücklichen Lage, dass wir unsere Karrieren selbst in der Hand haben und KPMG uns sehr viel Bewegungsspielraum gibt.

 

Welche Befürchtungen hatten Sie vor Karrierenachteilen durch die Elternzeit?

Ich glaube, die Zeiten sind vorbei. Auch in der Beraterbranche kann man zum Kunden offen sagen: Wir sind ein großes professionelles Team, Ihre Belange werden immer erfüllt und es ist immer jemand für Sie erreichbar – auch wenn das von 16 bis 19 Uhr nicht immer ich sein werde.

 

Wie haben Sie Ihre Elternzeit im Unternehmen und mit Ihren Kunden kommuniziert?

Im Team habe ich ganz offen gesagt, dass ich plane, vier Monate weg zu sein, aber eine ordentliche Übergabe mache und telefonisch erreichbar bleibe. Das wurde durchweg positiv aufgenommen. Kollegen, mit denen ich seltener in Kontakt bin, habe ich proaktiv eine E-Mail geschrieben und meine Kunden habe ich angerufen. Ich wollte nicht, dass sie eine Abwesenheitsnotiz erhalten und nicht wissen, ob ich krank bin, verreist oder ins Ausland versetzt wurde. Die meisten haben sich gefreut, manche waren verblüfft, aber alle fanden es gut.

 

Was raten Sie Vätern, die gerade vor der Entscheidung stehen, ob und wie lange sie Elternzeit nehmen sollen?

Auf jeden Fall machen. Es lohnt sich. Mein Tipp ist, selbstbewusst damit umzugehen und offen kommunizieren, wann und wie lange eine Elternzeit geplant ist. Die Angst vor Karrierenachteilen ist unbegründet. Ich mag nicht ausschließen, dass es im Einzelfall noch so ist, aber bei modernen Arbeitgebern sind diese Zeiten vorbei.

 

„Väter traut euch – mutige Männer tun´s schon länger“. Das Interview wurde 2017 geführt. Daniel Jagar arbeitet erfogreich bei der KPMG.

 

Interview: Julia Schmid

 

Über KPMG: KPMG in Deutschland ist Teil eines weltweiten Netzwerkes rechtlich selbstständiger Firmen mit rund 189.000 Mitarbeitern in über 150 Ländern. In Deutschland gehört KPMG zu den führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen und ist mit rund 10.200 Mitarbeitern an mehr als 20 Standorten präsent. Die Leistungen umfassen die Geschäftsbereiche Audit (Prüfung von Konzern- und Jahresabschlüssen), Tax (steuerberatende Tätigkeit), Consulting und Deal Advisory (bündeln das Know-how zu betriebswirtschaftlichen, regulatorischen und transaktionsorientierten Themen).

KPMG legt Wert auf Diversität im Unternehmen. Sie ist Unterzeichner der Charta der Vielfalt und des Memorandums für Frauen in Führung. Im Rahmen der Förderung von Vielfalt, engagiert sich KPMG mit einem Mitarbeiternetzwerk – Network of Women (KNOW), mit Maßnahmen zur Bindung und Förderung von Frauen im Zuge des Leadership Development Programms REACH und mit einem Mentoring-Programm für Frauen.

 

Einen Beitrag über eine Partnerin bei KPMG, die in Teilzeit ihre Führungsrolle wahrnimmt, findet ihr hier:

So gelingt Karriere in Teilzeit

 

Und wie eine Führungskraft der LBS Bayern über die Elternzeit von Vätern denkt, lest ihr in diesem Beitrag:

„Meine Work-Life-Balance stimmt“

 

Gute Arbeit in der Welt von morgen – Ein Gespräch.

Gab es in der Entwicklung der Menschheit nicht immer wieder große Schritte, die den jeweiligen Generationen sehr viel abverlangten? Ist es denn nicht bis heute gelungen, diese Herausforderungen dann letztlich doch zu meistern? 

 
Dr. Anne-Sophie Tombeil studierte Politikwissenschaft und Allgemeine Rhetorik in Tübingen und Florenz. Schwerpunkte ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeit am Fraunhofer IAO in Stuttgart liegen in den Themenfeldern Gestaltung von Dienstleistungsprozessen, Dienstleistungsarbeit und Innovationsgeschehen sowie Foresight und Monitoring. Anlässlich des Beginns vom 8. Cross-Mentoring Programm in Augsburg hat sie mit uns über die Herausforderungen gesprochen, die die Arbeit in Zukunft mitbringt – und darüber, wie wir sie meistern können.
 
MFF: Frau Dr. Tombeil, Sie beschäftigen sich mit der Veränderung von Arbeitsprozessen. Auf Ihrem Vortrag zur Auftaktveranstaltung des 8. Crossmentoring-Programms in Augsburg haben Sie uns Mut gemacht, dass wir die Arbeitsmöglichkeiten der Zukunft gestalten und vorteilhaft für uns nutzen können. Aber was macht gute Arbeit denn genau aus?
 
Für gute Arbeit, da ist die Arbeitsforschung ganz klar, gibt es Kriterien. Das sind zum einen die Ausführbarkeit, zum anderen die Zumutbarkeit, die Erträglichkeit und die Persönlichkeitsförderlichkeit von Arbeit.
 
Die Persönlichkeitsförderlichkeit wiederum entfaltet sich an den Elementen Anforderungsvielfalt, Autonomie, Ganzheitlichkeit, soziale Interaktion und Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten.
 
Wichtig ist, mit diesen Anforderungen an oder Merkmalen von guter Arbeit nicht nur den Bereich hochqualifizierter Wissensarbeit zu verbinden. Gute Arbeit gestalten heißt, die gesicherten Kriterien umsichtig und informiert in den verschiedenen Kontexten, Anforderungs- und Qualifikationsniveaus von Arbeit anzuwenden. Dazu gibt es bewährte Instrumentarien der arbeitswissenschaftlichen Analysen, die bis heute nichts an ihrer Relevanz eingebüßt haben. Ergänzt werden diese durch neuere Entwicklungen zur Bemessung von Gefährdungspotenzialen der Digitalisierung. Digitaler Arbeitsschutz ist sicher ein Feld, das sich noch in Entwicklung befindet, aber wenn man Arbeit gut gestalten will, kann man das tun.
 
MFF: Sie haben auch davon gesprochen, dass die klassische Routinearbeit aufgrund der Entwicklung einer schwachen künstlichen Intelligenz immer mehr an Bedeutung verlieren wird. Stattdessen wird es darauf ankommen, Informationen zu filtern und priorisieren zu können, sie innerhalb breiter Netzwerke zielgerichtet vermitteln und bearbeiten zu können – und sie dann dienstleistungsorientiert möglichen Nutzern bereitzustellen. Das klingt danach, als würden wir in Zukunft noch flexibler, noch dynamischer handeln und denken müssen. Lastet da nicht ein enormer Druck auf den Arbeitskräften der Zukunft?
 
Ja und nein. Nach allem, was wir heute wissen können, werden es zunächst routinisierte, eher monotone Tätigkeiten sein, deren Automatisierung durch digitale Lösungen mit und ohne Künstliche Intelligenz wahrscheinlich ist. Aus der Sicht guter Arbeit ist das kein Nachteil für Beschäftigte, eher im Gegenteil. Zu erwarten ist ein höherer Anteil anspruchsvollerer Arbeit. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die stetige Qualifikation von Menschen – und zwar früh, schon in der Schule und auch dabei nicht nur durch die Vermittlung von Fachwissen sondern insbesondere durch die Verankerung von Methodenwissen und der Kompetenz das Lernen zu lernen – mindestens so wichtig genommen wird wie Bemühungen um technologische Innovation. Nur Qualifizierung (und natürlich der umfassende Netzausbau) schützen Unternehmen, unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft vor der Digitalen Spaltung. Wichtig dabei ist, das Digitale als eines von vielen wirksamen Medien bzw. Arbeitsmitteln zu verstehen und souverän zu handhaben. Dann werden wir auch sehen, dass sich neue digitale Routinen herausbilden die, im Sinne guter Arbeit, geeignet sind, die nötige Entlastung innerhalb des Aufgabenspektrums eines Arbeitstages zu bieten. Zudem gilt: digitale Lösungen sind eine Herausforderung, ja, aber auch Teil der Lösung. Denn digitale Lösungen, wenn sie gut gemacht sind, helfen, komplexe, große Aufgaben besser, weil gut und mitlernend unterstützend, zu bewältigen.
 
MFF: Was passiert, wenn nicht jeder die Haltung aufbringen kann oder will, die der zukünftige Arbeitsmarkt erfordert? Werden alle da mithalten können?
 
Gab es in der Entwicklung der Menschheit nicht immer wieder große Schritte, die den jeweiligen Generationen sehr viel abverlangten? Ist es denn nicht bis heute gelungen, diese Herausforderungen dann letztlich doch zu meistern? Vielleicht liegt der gefühlte Unterschied zur Transformation heute darin, dass Transformationen der Vergangenheit kompliziert waren. Das heißt, es war viel zu bewältigen, aber irgendwann konnte man alle Teile beieinander haben. Man war sicher. Heute haben wir es mit Komplexität zu tun. Das heißt, wir können egal in welchem System, nicht mehr alle Teile überblicken. Kontext ist dynamisch. Die Beziehungen der verschiedenen Elemente untereinander können zu jedem Zeitpunkt unerwartete neue Situationen entstehen lassen. Die sogenannte Emergenz. Wir sind unsicher. Und müssen dennoch entscheiden. Digitalisierung schafft Komplexität und trägt zugleich dazu bei, mit dieser Komplexität zurecht zu kommen. Vorausgesetzt man erleidet Veränderung nicht, sondern gestaltet sie.
 
MFF: Ist das Bildungssystem allein in der Lage, uns auf diese mutige Gestaltung einer sich rapide wandelnden Berufswelt vorzubereiten? Oder müssen wir selbst an einer Mentalität der Selbstermächtigung arbeiten?
 
Unter Bedingungen der Komplexität sind alle Teile im System gefordert, Lösungen für Zusammenhalt zu entwickeln. Das Bildungssystem und andere wichtige Politikfelder, Innovation, Gesundheit, Umwelt, Arbeit, um nur einige zu nennen, die in besonders engem Zusammenhang zur Arbeitswelt stehen. Aber auch die Unternehmen, die Familien, jeder, jede Einzelne sind gefragt, die eigene Zukunft und die des Kontextes, in dem wir leben, mit zu gestalten. Selbstermächtigung, Teilhabe, Partizipation sind wichtige Begriffe. Aber auch Umsicht, Rücksicht und Weitsicht. Denn es geht gleichzeitig um jede, um jeden Einzelnen und um Zusammenhalt in einer Gesellschaft.
 
MFF: Es gibt immer wieder Stimmen, die dem Arbeitsmarkt eine düstere Zukunft prognostizieren: Automatisierung und Wegfall von Jobs, Massenarbeitslosigkeit, stärkere Selbstausbeutung, eine kleine Elite von hochspezialisierten Führungskräften und daneben ein Heer von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern mit zero-hour-contracts. Wird die digitale Revolution, ähnlich wie die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert, die soziale Frage neu aufwerfen?
 
Aus meiner Sicht ist die soziale Frage, allerdings anders als im 19. Jahrhundert, schon neu aufgeworfen. Die Frage nach den Werten, die unsere heutige bunte Gesellschaft zusammenhalten, ist auf der politischen Agenda und findet sich, bescheiden, aber immerhin, in Förderkontexten, die danach forschen, was zusammenhält und künftig zusammenhalten kann. Die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen wurde intensiver, zurzeit leider nicht mehr so vordringlich wie nötig, geführt. Europa ringt um seine Neupositionierung auf belastbaren Werten. Das alles geht langsam, nicht ohne Konflikt, nicht ohne Opfer. Aber es geht. Vielleicht sind wir, und ich meine damit meine Generation 50 + und die noch Älteren, etwas satt geworden, und bequem, und auch ein wenig borniert. Sie sagen Leiharbeit, zero-hour-contracts, Selbstausbeutung. Ja, das ist schlecht. Aber wieso eigentlich fällt es uns so schwer, positive Worte für mehr Flexibilität, mehr Selbstbestimmung, öfter wechselnde Arbeitsbeziehungen zu finden? Sicher ist es wichtig, die hart erkämpften Errungenschaften einer sozialen Marktwirtschaft, eines Kapitalismus mit menschlichem Gesicht, zu bewahren. Was wir dazu brauchen, ist ein Zukunftsbild davon, was sicher bleiben muss und was flexibel werden darf, und wie beides zusammenpasst. Hier ist geeignete Regulierung und Gestaltung gefragt, auf der Basis von wissenschaftlichem und praktischem Wissen und von Haltung. Dazu beitragen müssen wir alle: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, organisierte Interessen, gesellschaftliche Gruppen und jede, jeder Einzelne.
 
MFF: In Ihrer Studie zu Arbeitstypen der Zukunft von 2013 zitieren Sie den tschechischen Ökonomen Tomáš Sedláček – „Die Apostel eines ständigen Wirtschaftswachstums und die Propheten einer ökonomischen Katastrophe haben die gleichen Statistiken zur Verfügung. Allerdings leiten die einen […] Hoffnung daraus ab, die anderen aber das genaue Gegenteil.“ Was bringt Sie dazu, hoffnungsvoll zu sein?
 
Seit über zwanzig Jahren gestalte ich am Fraunhofer IAO in kleinen und großen Projekten Veränderung. Mit meinem Mann zusammen ziehe ich drei Kinder groß und begleite alternde Eltern. Ich lese, fachliches und belletristisches, höre zu und gehe mit offenem und selbstkritischem Blick durch mein Stück der Welt. Täglich, im ganz Kleinen und im Mittelgroßen, erlebe ich Scheitern und dass Veränderung gelingen kann. Die Kontexte unserer Gegenwart sind komplex, die Herausforderungen groß. Aber: wir, Menschen, sind gut aufgestellt. Wir wissen viel, wir haben Werkzeuge und eine Historie, die gezeigt hat: Veränderung ist gelungen. Immer. Warum diesmal nicht?
 
MFF: Frau Dr. Tombeil, vielen Dank für das Interview!
 

Interview: Maximilian Priebe

Die Arbeitswelt der Zukunft: Digital, vernetzt, menschlich.

Auftakt in Augsburg

 
Am Dienstag, den 12. Juni, war es endlich soweit – das Cross-Mentoring Programm Augsburg ging in die 8. Runde.
 

Cross-Mentoring ist ein unternehmsübergreifendes Mentoring-Programm. Liegt normalerweise ein Fokus des Programms auf der zielgerichteten Unterstützung von Frauen in Führungspositionen, geht es in Augsburg ganz unabhängig von genderspezifischen Themen vor allem um den Austausch zwischen den Branchen und um den Aufbau eines langfristigen Netzwerkes. Erfahrene Führungskräfte begleiten ein Jahr lang einen Mentee bei ihrem oder seinem beruflichem Werdegang und bringen ihr Fachwissen, ihren reichhaltigen Erfahrungsschatz und ihre persönliche Perspektive in ein intensives Arbeitsverhältnis ein. In so einer Mentoring-Beziehung ist klar, dass beide Seiten profitieren, Impulse aufnehmen und sich persönlich weiterentwickeln.

 
Um Impulse und Perspektiven ging es auch während der Auftaktveranstaltung im Fürstensaal des Augsburger Rathaus. Das erste offizielle Zusammentreffen von Mentees und den Mentorinnen und Mentoren wurde festlich begangen. Aus Stuttgart reiste die Arbeitsforscherin Frau Dr. Anne-Sophie Tombeil an, die in einem spannenden und detailreichen Vortrag drei große Trends des zukünftigen Arbeitsmarktes skizzierte: die fortschreitende Digitalisierung, den soziokulturellen Wandel und die Veränderung der Unternehmenskultur von einer Produkt- hin zu einer Dienstleistungslogik.
 
Unter dem Titel – digital, vernetzt, menschlich – ging sie insbesondere darauf ein, dass die Arbeitsformen der Zukunft gestaltbar sind – von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von Führungskräften und von Konsumenten. Wo können wir also die Initiative ergreifen?
 

Die digitale Revolution

 
Zum einen, so die These, wird im Rahmen der Industrie 4.0 noch eine viel tiefgreifende Automatisierung von Tätigkeiten stattfinden. Wo digitale Produktionsprozesse und künstliche Intelligenz in der Lage sind, Routinearbeiten zu übernehmen, wird menschliches Potenzial frei. Und dieses Potenzial brauchen wir. Denn die Entscheidungen, auf welche Ziele Unternehmen zusteuern, welche Projekte wie umgesetzt werden, sind Entscheidungen, die nur kreative, emotionale und soziale Intelligenz beantworten kann. Das wird ganz deutlich an der Datenwirtschaft. Es ist hier bereits eine große Anzahl von Datensätzen vorhanden. Und in jedem Unternehmen können enorme Massen an neuen Daten erhoben werden. Aber wird diese Ressource eigentlich richtig genutzt? Nach welchen Kriterien wollen wir die Daten untersuchen und einsetzen? Was für ein Ziel angestrebt und mit welchen Mitteln es erreicht werden soll, sind Fragestellungen, mit denen sich Führungskräfte stärker denn je auseinandersetzen müssen. Frau Dr. Tombeil machte allerdings auch darauf aufmerksam, dass nur ein Bruchteil der Deutschen Unternehmen diese Herausforderungen wirklich erkennt: Die Frage, ob die neuen Produktionsmöglichkeiten, die sich durch künstliche Intelligenz ergeben, als relevant erachtet werden, hatten die meisten Unternehmen laut einer Studie des Kantar TNS von 2017 verneint.
 

New Work

 
Auch der Wandel, der sich durch eine neue Generation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ergibt, stellt Führungskräfte vor große Herausforderungen. Sind Unternehmen auf flexible Arbeitsmodelle, in denen die klassische Büroarbeit verschwindet, wirklich eingestellt? Können Sie den Bedürfnissen, nach denen Arbeit Sinn stiften und Möglichkeiten der Selbstverwirklichung bereitstellen soll, wirklich entsprechen? Sind sie in der Lage, Arbeit dynamisch und mit flachen Hierarchien zu organisieren? Ein interessanter Aspekt kam in der anschließenden Diskussion auf. Denn inwiefern ist der Arbeitnehmerschutz, der durch die Gewerkschaften errungen und durch Institutionen wie die Betriebsräte garantiert wird, noch anschlussfähig in einer Generation, für die Mobilität und ein steigendes Verschmelzen von Arbeit und Privatleben ganz normal sind?
 

Guter Service für jeden Nutzer

 
Nicht zu unterschätzen ist ein weiterer Trend, den Frau. Dr. Tombeil portraitierte. Kauften wir früher meist Produkte, so verschiebt sich der Erwerb heutzutage zu Nutzungsrechten. Geteilte Plattformen, geteilte Autos, geteilte Musik – wie wirkt sich das auf klassische Produktanbieter aus? Was zukünftig noch wichtiger wird, so die These, ist die Fähigkeit, Zielgruppen zu lokalisieren und Servicedienstleistungen passend zu vermarkten. Dies erfordert natürlich eine hohe Anpassungsfähigkeit und eine Mentalität, die sich an der Befriedigung von Kundenbedürfnissen stärker orientiert als an der losgelösten Optimierung von Produkten. Eine überraschende Einsicht verbarg sich dahinter: der Motor der Innovation wird immer weniger die Industrie. Stattdessen werden neue Impulse aus der Lebenswelt der Verbraucher in die Wirtschaft schwappen.
 

Ein neuer Führungsstil

 
Wer sich auf diese Trends einstellen will, muss Haltung einnehmen. Führungskräfte müssen stärker zuhören, beobachten und Netzwerke einbinden, um ihre Ziele zu erreichen. Die Führung von morgen koordiniert vielfältige Teams, bewältigt immer neue Aufgaben und pflegt einen offenen Umgang mit allem, was jenseits des eigenen Tellerrands liegt. Das ist eine Herausforderung – und zugleich eine Chance, eine menschliche, vielfältige und inspirierende Arbeitswelt zu schaffen.
 
Für die Auftaktteilnehmer in Augsburg war dieser Überblick ein guter Startpunkt, selbst den Perspektivenwechsel einzunehmen. Denn der branchenübergreifende Cross-Mentoring-Ansatz, so war zu hören, verkörpert selbst schon einen Teil der Arbeitswelt von morgen.
 

Autor: Maximilian Priebe

 
 

Den Herausforderungen der Digitalisierung stellt sich auch der Bayerische Rundfunk – und teilte seine Erfahrungen mit den beteiligten Unternehmen des Cross-Mentorings München:

Digital Leadership am Beispiel des BR


Die Frage, was gute Führung ausmacht und welche Führungstypen es gibt, beleuchtet folgender Blogbeitrag:

Was heisst führen heute?

Wie Führung flexibel gestaltet werden kann

Es wird alles immer schneller!

 

Die Anforderungen an die Geschwindigkeit von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wie auch von Unternehmen ist dramatisch angestiegen. Während in früheren Zeiten Projekte nach sequentiellen Projektplänen bearbeitet wurden, herrscht heute das Motto des agilen Projektmanagements. Die vier Dimensionen des Begriffes AGIL, der als erstes vom Systemtheoretiker und Soziologen Talcott Parsons geprägt wurde, bestehen aus „Adaption“ (Anpassung), „Goal Attainment“ (Zielverfolgung), „Iteracy“ (Eingliederung) und „Latency“ (Aufrechterhaltung). Sie beschreiben die geforderten Fähigkeiten und Kompetenzen, um sich in der sich verändernden Umwelt den jeweiligen Rahmenbedingungen erfolgreich anpassen zu können. Diese Arbeitsweise bringt schnelle Prozesse mit sich, die weniger planbar sind und sich durch Rahmenbedingungen, Kundenaustausch und durch weitere Einflussfaktoren entwickeln.

 

Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten für die Verbindung von Arbeit und Leben

 

Das heißt aber nicht, dass sich diese Entwicklungen negativ auf die Mitarbeiter auswirken. Im Gegenteil, sie bringen auch viele Vorteile mit sich. Allen voran: Freiheit! Denn die neuen technologischen Möglichkeiten schaffen innovative Arbeitsmodelle, die es den Mitarbeitern wiederum erleichtern, Arbeit, Familienleben und Freizeit besser zu vereinbaren. Während es früher notwendig und üblich war, die Arbeitszeit vollständig im Unternehmen abzuleisten, gibt es hierfür heute keinen Anlass mehr. Telearbeit, mobiles Arbeiten, Homeoffice – Arbeiten kann von überall und jederzeit erledigt werden. Dafür reicht oftmals ein Tablet. Die Entscheidungsfreiheit über das Wann und Wo liegt beim Mitarbeiter. Für das Unternehmen zählt nur das Ergebnis.

 

Die Bereitschaft, Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mit flexiblen Arbeitsmodellen entgegenzukommen, wächst stetig. Dabei wird sehr vielfältig mit diversen Teilzeitvarianten gespielt – auch bei qualifizierten Tätigkeiten. Doch gilt dies auch für Führungskräfte? Auswertungen wie der von Cross Consult erhobene Benchmark zeigt eine andere Realität. Die tradierte Erwartung an Führungskräfte: anwesend sein, um ansprechbar zu sein und Entscheidungen treffen zu können, inhaltlich und fachlich das Team unterstützen und die Interessen der Abteilung oder des Teams zu vertreten. Das führt in vielen Fällen dazu, dass Führung nur in Vollzeit erfolgen kann. Obgleich dieser Anspruch in der Realität kaum erfüllt wird (Führungskräfte sind, auch wenn Sie Vollzeit arbeiten, kaum immer für ihr Team erreichbar), haben diese Erwartungen eine große Definitionsmacht für die selbstverständlichen Ansprüche an Führungskräfte. Noch weniger können sich etablierte Führungskräfte vorstellen, dass Führungsaufgaben auch auf zwei Personen verteilt werden könnten. Dabei eröffnet gerade diese Möglichkeit ungeahnte Potenziale für den Einzelnen, um Führungsverantwortung vom Umfang der Arbeitszeit zu entkoppeln und gleichzeitig für das Unternehmen einen hohen Mehrwert zu schaffen.

 

Führung ist teilbar!

 

Die Diskussion um geteilte Führungspositionen – sogenannte Jobsharing oder Topsharing-Tandems – entzündet sich in der Regel an den oben genannten vermeintlichen Selbstverständlichkeiten. Kulturelle Grundlage solcher Modelle ist ein partnerschaftliches Führungsverständnis, das eine gemeinsame Führungsverantwortung annimmt und so die Möglichkeit schafft, die Summe aller Führungstätigkeiten auf zwei Personen zu verteilen. In der Praxis sind dies nicht zwingendermaßen Modelle, in denen beide Tandempartner zu 50 Prozent arbeiten, sondern auch häufig Modelle, in denen eine Führungskraft z. B. 65 Prozent der vollen Arbeitszeit leistet und die zweite 80 Prozent oder auch mehr anwesend ist.

 

Was kann das Unternehmen gewinnen?

 

In erster Linie gewinnt das Unternehmen durch eine Verdopplung der Impulse, der Kreativität und der Verantwortungsübernahme für die erfolgreiche Führung eines Bereiches. Damit können auf der Führungsebene neue Perspektiven, Lösungen, Strategien diskutiert werden, bevor sie im Team eingebracht und umgesetzt werden. Zudem ermöglichen es Führungsduos, dass immer eine Führungskraft ansprechbar ist, da Ausfallzeiten wie Urlaub oder Krankheit wechselseitig kompensiert werden. Ein weiterer gewinnbringender Aspekt für Unternehmen ist, dass sich durch solche flexiblen Modelle ein größerer Personenkreis in den Unternehmen angesprochen fühlt und so ein größerer Pool an potenziellen Führungskräften erschlossen werden kann. Ein Aspekt, der gerade für die Gewinnung von Führungskräften aus der jüngeren Generation und der Steigerung des Frauenanteils in der Führung von großer Bedeutung ist.

 

Welche Herausforderungen stellen sich Führungsduos?

 

Die gemeinsame Tätigkeit in einer Führungsposition erfordert eine ganze Reihe klarer Vereinbarungen im Tandem und in der Arbeitsfamilie, also im unmittelbaren arbeitsorganisatorischen Umfeld. Innerhalb des Tandems sind zum einen Bereiche zu identifizieren, in denen klare Zuständigkeiten innerhalb des Tandems bestehen – das heißt, jeder hat seine eigenen Aufgaben. Zum anderen muss klar sein, für welche Bereiche eine dauerhafte gemeinsame Zuständigkeit herrscht. In der Zusammenarbeit mit der Arbeitsfamilie, also den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und der eigenen Führungskraft sowie den Kollegen und Kolleginnen auf der selben Ebene, sind ebenfalls klare Zuständigkeiten, Kommunikationsregeln und Themen zu bestimmen. Für jeden Tandempartner, jede Tandempartnerin bedeutet dies, dass es einen Mix aus individuellen Tätigkeiten und Verantwortungsbereichen gibt sowie Bereiche und Tätigkeiten, die innerhalb des Tandems in andauernder Kommunikation und Abstimmung bearbeitet werden. Erfolgskritisch für die Arbeit eines Führungstandems sind: das Maß der Selbstorganisation eines jeden Tandempartners, das gemeinsame partnerschaftliche Führungsverständnis und die kommunikative Umsetzung des laufenden Austausches. Die neuen Kommunikationstechnologien können den Abstimmungs- und Austauschaufwand erleichtern – vor allem wenn nicht beide Tandempartner oder Partnerinnen vor Ort im Büro sind. Die Akzeptanz und Wertschätzung aus der Arbeitsfamilie sind darüber hinaus wichtige Faktoren, die es dem Tandem leichter oder schwerer machen können, in den bestehenden – an Vollzeit orientierten – Strukturen als Führungskräfte zu agieren.

 

Die Veränderungen in der Arbeitswelt, die durch die Digitalisierung angetrieben werden, können daher auch vielfältige Chancen eröffnen, wie zukünftige Führungskräfte ihre Arbeits- und Lebensmodelle gestalten. Partnerschaftlichen Lebens- und Führungsmodellen gehört damit die Zukunft!

 

Autorin: Simone Schönfeld

(Der Artikel ist auch als Gastbeitrag im Ahochdrei-Magazin erschienen)

 

Ebenfalls bei Ahochdrei zu finden ist dieser Artikel über gute Kommunikation bei gendersensiblem Recruiting:

Erfolgreiches Recruiting


Und was könnte ein besseres Beispiel für das Teilen von Führungsverantwortung sein als dieses inspirierende Tandem von den Stadtwerken München?

Topsharing par excellence bei den SWM

Mutmacher.in für „einfach ausprobieren“

Frisch aus der Elternzeit zurück, bekam Dr. Ann-Christine Hamisch direkt eine Führungsposition angeboten. Was tun als Mutter von drei kleinen Kindern – einer Tochter mit zweieinhalb und einjährigen Zwillingen? „Es einfach ausprobieren“, hat sich Dr. Ann-Christine Hamisch damals gesagt und sich ins Abenteuer gestürzt. Ihr Mut hat sich ausgezahlt: Auch vier Jahre später balanciert sie ihre 5-köpfige Familie und den von ihr geführten 80-köpfigen Bereich „Personalgewinnung und -entwicklung“ bei den Stadtwerken München GmbH erfolgreich. In unserem MFF-Interview erklärt die 44-Jährige Juristin ihr persönliches Work-Life-Mosaik und wirbt dafür, Chancen zu ergreifen und keinesfalls Angst vor dem Scheitern zu haben.

 

Promovierte Juristin, sechs Jahre Großkanzlei im Bereich Arbeitsrecht, Wechsel zur Rechtsabteilung der Stadtwerke München, 3 Kinder, Bereichsleiterin – ihr Lebenslauf liest sich perfekt. Hatten sie das alles von Anfang an geplant?

Das mag nach einem großen Masterplan klingen, aber ich bin eher jemand, der mit offenen Augen durchs Leben geht und die Gelegenheiten ergreift, wenn sie kommen. Mit Zwillingen, die gerade in die Krippe eingewöhnt werden, meine erste Führungsposition zu übernehmen, war sicher nicht geplant. Es hat sich damals ergeben und wir haben als Familie beschlossen, es zu versuchen. Seitdem funktioniert es eigentlich auch ganz gut.

 

Wie sah bzw. sieht ihr Arbeitsmodell aus?

Bei meiner älteren Tochter kam ich mit 60% aus der achtmonatigen Elternzeit zurück. Bei meinen Söhnen hatte ich ein Jahr Elternzeit und bin mit 80% wieder eingestiegen. Mittlerweile arbeite ich zu 90% – also fast Vollzeit. Aber der Schlüssel ist sicherlich Flexibilität – sowohl zeitliche als auch örtliche, sowohl von meinem Arbeitgeber als auch von mir. Ich komme in der Regel relativ früh ins Büro und versuche nachmittags drei- bis viermal in der Woche die Kinder abzuholen, um mit ihnen noch Zeit verbringen zu können. Oft setze ich mich dann abends nochmal hin. Zusätzlich habe ich mindestens einen Home-Office-Tag, wenn der nicht gerade von einem Projekt geschluckt wird.

Hinzu kommt, dass mein Mann ebenfalls bei einem sehr modernen Arbeitgeber in der IT-Branche arbeitet, bei dem die Partner selbst Kinder haben und sich der Verpflichtungen sehr wohl bewusst sind. Er kann sich seine Arbeitszeit flexibel einteilen und die Kinder auch mal früher abholen. Es ist ein Mosaik aus vielen Einzelteilen, die im Moment gut zusammenpassen.

 

Gab es denn auch mal eine Zeit, in der es nicht zusammengepasst hat?

Erschöpfungsphasen kennt, glaube ich, jede Führungskraft und jede Mutter… Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich beide Teile meines Lebens – Familie und Job – irgendwie gegenseitig befruchten. Ich ziehe die Kraft für die Arbeit aus der Zeit mit meinen Kindern und umgekehrt.

 

Welche Eigenschaften helfen Ihnen, die Doppelbelastung zu bewältigen?

Als Mutter oder Vater mit einem stressigen Job braucht man eine gewisse Art von Resilienz, eine hohe Bereitschaft zur Flexibilität und man muss Hilfe annehmen können. Hinzukommt, dass man sich von einem gewissen Perfektionismus verabschieden muss, denn der führt nur zu einem dauerhaft schlechten Gewissen – nach dem Motto: „ich bin nicht genug bei meiner Arbeit“/ „ich bin nicht genug bei meinen Kindern“.  Ich versuche in dieser Hinsicht gelassen zu bleiben und darauf zu vertrauen, dass es meinen Kindern gut geht, wenn ich nicht bei ihnen bin, und dass auch die Welt bei den Stadtwerken nicht untergeht, wenn ich mit meiner Tochter Hausaufgaben mache oder meinen Söhnen auf dem Spielplatz bin und dabei nicht ständig aufs iPhone schaue.

 

Kann man das lernen, nicht perfekt sein zu wollen?

Ich bin selbst noch dabei… Aber Zwillinge sind eine sehr gute Schule! Durch sie habe ich definitiv gelernt, um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen und nicht den Anspruch an mich zu haben, dass ich alles selbst machen muss.

 

Können Sie das auch in der Arbeit?

Ich habe kein Problem damit, Arbeit zu delegieren – auch weil ich weiß, dass ich meinen Mitarbeitern vertrauen kann und sie bei Problemen zu mir kommen.

Und mein Chef und meine Umgebung geben mir schon das Gefühl, dass es okay ist, eine Familie zu haben und parallel einen Führungsjob. Unser Geschäftsführer hat selbst drei Kinder und sagt auch mal „heute muss ich gehen, weil bei den Kindern dieses und jenes ist“. Solche Vorbilder sind enorm wichtig – egal ob als Mann oder als Frau. Meine Mitarbeiter finden es gut, wenn ich offen sage: „Heute Nachmittag geht nicht, weil bei meinen Kindern im Kindergarten Weihnachtsfeier ist“ – weil sie wissen, dass auch sie sich nicht hinter irgendwelche Ausreden verstecken müssen, wenn sie wegen „Familien-Verpflichtungen“ mal früher gehen müssen.  Ich kann nicht Vereinbarkeit und Familienfreundlichkeit predigen, wenn sie nicht selbst vorlebe.

 

Genießen Ihre Mitarbeiter auch besondere Freiheiten?

Wenn Sie unter Freiheiten verstehen, dass Mitarbeiter mal ihre Kinder ins Büro mitbringen, früher gehen oder von zuhause arbeiten können – ja, dann genießen meine Mitarbeiter viele Freiheiten. Für mich sind das aber eher Selbstverständlichkeiten. Natürlich kann sich aber auch nicht jeder grenzenlos selbstverwirklichen – auch wenn viele in Teilzeit oder mal im Homeoffice arbeiten, muss trotzdem noch eine Abteilungsbesprechung mit allen möglich sein. Aber mit guter Kommunikation und Flexibilität von allen Seiten ist wirklich vieles machbar.

 

Was raten Sie anderen Müttern, die ebenfalls ohne Karriererückschritte aus der Elternzeit zurückkehren möchten?

Kontakt halten und mit offenen Karten spielen! Während der Elternzeit habe ich gelegentlich mit meinem Chef telefoniert, war mit Kollegen Mittagessen oder bin mit den Kindern mal im Büro vorbeigegangen. Und ich habe mir schon vor der Elternzeit konkrete Gedanken gemacht, wann und in welchem Umfang ich zurückkommen will und habe das sehr offen mit meinem Chef besprochen. Offene Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeiterin ist elementar. Denn auch für den Arbeitgeber ist die Planung oft schwierig, wenn Mitarbeiterinnen nur mit der gesetzlich festgeschriebenen Ankündigungsfrist von acht Wochen zurückkehren wollen. Ich habe aktuell vier schwangere Mitarbeiterinnen im Bereich, mit allen besprechen wir sehr aktiv ihre Pläne bezüglich Elternzeit und Wiedereinstieg. Und manchmal ergeben sich in der Elternzeit tolle Chancen – eine Mitarbeiterin von mir hat beispielsweise ihr gesamtes Führungskraft-Entwicklungsprogramm in der Elternzeit absolviert und fand das super.

 

Kennen Sie denn die Angst vor dem Scheitern?

Ja klar, als mein Chef mir die Führungsposition angeboten hat, hatte ich auch Vorbehalte und habe ihn auch ganz offen gefragt: „Was ist, wenn meine Jungs jetzt alle zwei Wochen krank sind? Wirst Du das dann immer noch für eine gute Idee halten?“ Aber wir haben gesagt, „wir probieren es!“ Und wenn es nicht geklappt hätte, wäre es auch nicht schlimm gewesen. Ich finde, man kann Entscheidungen immer revidieren, ohne das Gesicht zu verlieren. Zu sagen: „Ich habe es probiert und es passt nicht zu mir oder zu meiner jetzigen Lebensphase“ zeichnet für mich eher eine starke Persönlichkeit aus. Karriere wird zu oft als reine Aufwärtsbewegung wahrgenommen. Gerade wir Frauen machen uns oft im Vorfeld zu viele Gedanken und verpassen dadurch manchmal Chancen. Wir brauchen ein bisschen mehr Mut, etwas auszuprobieren, von dem wir nicht immer vorher schon wissen, ob es funktioniert. Und wir brauchen auch mutige (männliche wie weibliche) Führungskräfte, die z.B. sagen: „Komm, wir versuchen es mit einer Führungskraft in Teilzeit oder einem Jobsharing-Tandem“.

 

Hatten Sie denn so eine männliche Führungskraft?

Ja, ich hatte mit meinem Chef großes Glück. Selbst bei den Stadtwerken ist es nicht alltäglich, dass man direkt aus der Elternzeit mit Zwillingen in eine Führungsposition befördert wird. Er hat von Anfang an gesagt „wir schaffen das“ und wollte ein Zeichen für Vereinbarkeit setzen.

 

Das ist ihm gelungen!

 

Interview: Julia Schmid

 

Diese beiden Topfrauen leiten zusammen den Bereich Telekommunikation bei den Stadtwerken München im Topsharing-Modell:

Topsharing par excellence bei den SWM

 

Hier findet ihr einen Beitrag über das Frauennetzwerk der Stadtwerke München:

SWM-Frauennetzwerk: „Der Austausch gibt so viel Energie!“

 

Und hier geht’s zu einer mutmacher.in, die sich in einer Männerdomäne durchgesetzt hat:

Mutmacher.in für MINT-Berufe

Mutmacher.in für Karriere und Familie

Nächste Woche ist es zum 3. Mal so weit: Die herCAREER wird zum Place-to-be für alle berufsinteressierten Frauen – Männer sind selbstverständlich auch herzlich willkommen! Am 12. und 13. Oktober dreht sich bei der Messe im MTC München wieder alles um die Karriereplanung aus weiblicher Perspektive.

 

Mit dem Memorandum für Frauen in Führung sind wir Kooperationspartner der Messe und neben 190 anderen Unternehmen mit einem Stand vertreten. Dieses Jahr steht bei uns alles unter dem Motto “Mutmacher.in”. In drei KarriereMeetUps bieten wir einen exklusiven Austausch mit spannenden Top-Frauen, die mit ihrer Geschichte Mut machen, sich mehr zuzutrauen.

 

Eine davon ist Dr. Maike Kolbeck, Referatsleiterin Unternehmenskommunikation und Pressesprecherin der Bayerischen Versorgungskammer (BVK). Sie hat zwei Kinder und eine Führungsposition. Während ihrer ersten Schwangerschaft wurde sie bei der BVK befördert und konnte danach mit flexiblen Arbeitsmodellen ihre Position stetig ausbauen. Bei unserem MeetUp „Augen auf bei der Arbeitgeber- und Partnerwahl!“ auf der herCAREER am 12.10.2017 von 11Uhr bis 12Uhr spricht sie über die Bedeutung der Arbeitgeberwahl und der Rolle des Partners bei der Vereinbarkeit von Karriere und Familie und gibt ihre Erfahrungen weiter.

 

Welche Bedeutung hat die Partnerwahl für die Karriere einer Frau? Wie hat ihr Partner sie unterstützt?

Dr. Maike Kolbeck: Es mag banal klingen, aber jeder Partner muss, wenn ihm der berufliche Erfolg des anderen ebenso wichtig ist wie der eigene, eben auch im Beruf zurückstecken. Das kann der (Mit-)Umzug in eine neue Stadt sein, wo die Partnerin einen aussichtsreichen Job annimmt, eine Station im Ausland sein oder eine anspruchsvolle Weiterbildung abends oder am Wochenende.

Richtig bemerkbar macht sich das aber oft erst, wenn ein Paar Kinder bekommt. Wenn man ganz ehrlich mit sich selber und seinen beruflichen wie privaten Ansprüchen ist, lassen sich eine Elternschaft, wie sie uns tradierte Rollenbilder nahelegen, und Karriere der Mutter nicht vereinbaren. Der Tag hat nur 24 Stunden. Also muss man als Paar besprechen, wie sich beide die Elternrolle vorstellen und wie die mit den beruflichen Ambitionen und Erfordernissen in Einklang gebracht werden könnte.

Für meinen Mann und mich war klar, dass wir uns im Beruf weiterentwickeln wollen und zugleich Zeit für unsere Kinder haben wollen. Er ist, genau wie ich, als Elternteil für die Kinder verantwortlich und berufstätig. Von beidem machen wir zeitliche Abstriche, jeder etwa gleich viel. Dafür tragen wir die finanzielle Verantwortung für die Familie aber auch gemeinsam und die Kinder haben von beiden Elternteilen etwas – das ist der große Gewinn für uns alle. Außerdem hat sich mein Mann schon vor Jahren bewusst einen Beruf gesucht, der (auch) familientauglich ist. Für manche Männer wäre das wohl eher ungewöhnlich.

 

Karriere mit Kind – wie geht das? Wie hat das bei Ihnen funktioniert?

Ich persönlich glaube, dass nur eine zeitige Rückkehr in den Job, die bereits lange vor der Geburt gut mit dem Arbeitgeber geplant und schriftlich (das halte ich für sehr wichtig!) fixiert ist, weiterhilft. Dass man am Kontakt hält, ggf. auch trotz (oder mit) Baby eine wichtige Fortbildung mitmacht. Ich habe das alles gemacht (und das auch sehr gerne) und denke, es war auch für meinen Vorgesetzten und das Team eine große Hilfe zu wissen, wann und mit wie vielen Stunden ich wiederkomme und dass meine Aufgaben nur für ein paar Monate umverteilt werden mussten.

Und es ist – zumindest wenn man wie wir ohne Großeltern und Co. auskommen muss –  eine Vereinbarungsfrage mit dem Partner. Für uns hat es so funktioniert: Beim ersten Kind hat mein Partner seine zwei Vätermonate dafür genutzt, dass ich früh in den Job zurückkehren konnte. Auch beim zweiten Kind war ich nach fünf Monaten wieder im Büro, zunächst nur zwei Tage in der Woche und zwei halbe Tage im Homeoffice. Unterm Strich war immer einer von uns tageweise im Büro, der andere mit Baby zuhause. Auch heute teilen wir uns ziemlich gleichmäßig auf. Das bedeutet aber, es kann immer nur einer eine Abendveranstaltung oder einen späten Termin wahrnehmen und immer nur einer auf Dienstreise gehen. Und das muss man nicht nur mit dem Partner aushandeln, sondern auch den Vorgesetzten und Kolleginnen und Kollegen klarmachen. Es bedeutet aber auch, dass derjenige von uns, der früh zuhause ist und den Nachmittag mit den Kindern verbringt, abends oft nochmal anfängt zu arbeiten.

 

Welche Rolle hat dabei Ihr Unternehmen gespielt bzw. Ihre Vorgesetzten?

Ich denke, ich hatte sehr viel Glück mit meinen Vorgesetzten. Generell ist mein Arbeitgeber ohnehin sehr familienfreundlich, es gibt eine Menge flexibler Angebote für diesen anspruchsvollen Spagat. Aber Vorgesetzte und Teammitglieder müssen diese – wenn auch befristeten – planerischen Mehraufwände eben in der Praxis auch auf sich nehmen wollen. Ich habe sehr viel Unterstützung und sehr viel Wohlwollen erlebt. Vor allem aber bekam ich auch einen großen Vertrauensvorschuss mit meiner Beförderung wenige Monate nach der Geburt unseres ersten Kindes. Das freut und beeindruckt mich noch heute, und es macht extrem loyal dem Arbeitgeber gegenüber. Aber ich habe eben auch an mein Team, meinen Vorgesetzten und meinen Job gedacht bei der Gestaltung der Elternzeit und eine Lösung angeboten, die aus Arbeitgebersicht sicher sehr positiv war. Und ich konnte mich auch auf Kolleginnen und Kollegen verlassen, die meine Ausfallzeiten aufgefangen haben. Im Idealfall kann man sich guten Gewissens in Mutterschutz und Elternzeit verabschieden, weil es auch ohne einen läuft. Das war bei mir so und dafür bin ich sehr dankbar.

 

Gibt es etwas, was Frauen tun können, damit die Schwangerschaft nicht das Ende ihrer Karriere bedeutet? Bzw. wie können sie dem vielleicht vorbeugend entgegenwirken?

Zum Thema Partnerwahl: Am besten vor der Familiengründung mit dem Partner explizit abklären, wie beide Familie und Beruf leben wollen; und das dann, falls nötig, auch gegen Widerstände durchsetzen. Bei dem Hinweis  “In meinem Job geht das aber nicht” sollte man sehr hellhörig werden. Hat schon jemals eine werdende Mutter diesen Satz zum Vater des Kindes gesagt?

Mit dem Arbeitgeber sollte man ebenfalls schon früh eine konkrete Absprache treffen, wann und mit wie viel Zeitanteil man zurückkehren wird. Ich persönlich glaube, dass nur eine zeitige Rückkehr und eine eher vollzeitnahe Arbeitszeit hilft, beruflich weiter voranzukommen. Es gibt nun mal Situationen, in denen man seine Expertise und Meinung vertreten sollte, und die kommen eben auch nach 14, 15 Uhr vor.

 

Wie können Frauen kinderfreundliche Arbeitgeber schon bei der Bewerbung erkennen?  Wonach sollten sie fragen?

Das ist sicher nicht leicht zu erkennen. Hilfreich könnte es aber sein, den externen Auftritt gezielt nach Hinweisen auf diese Themen zu durchforsten: Trägt der Arbeitgeber bestimmte Labels, hat er bestimmte Zertifikate wie z. B. das Audit Berufundfamilie? Finden sich auf allen Führungsebenen Frauen, und haben die Kinder? Oder nehmen die Frauen überproportional zum gesamten Frauenanteil ab, je höher man in der Hierarchie schaut? Wie sieht es mit männlichen Führungskräften in Teilzeit aus? Wie ist die oberste Führungsriege besetzt? Gibt es Jobsharing? Ist das Unternehmen zum Thema Familie mal öffentlich in Erscheinung getreten, z. B. auf Messen oder in Fachartikeln? All das sollte man gründlich recherchieren, bevor man sich an einen Arbeitgeber bindet.

 

Welche Ihrer Eigenschaften haben am meisten dazu beigetragen, dass es bei Ihnen geklappt hat? Was war die wichtigste Erkenntnis, die Sie hatten?

Fachliche Expertise, Leidenschaft für das, was ich tue und die Bereitschaft, auch mal Opfer zu bringen. Das klingt jetzt vielleicht dramatisch; aber ohne Können kommt man so oder so nicht weit, und zumal als Führungskraft sollte man schon für seine Aufgaben brennen – oder sie zumindest sehr gerne machen. Sonst funktioniert das Thema “Opfer bringen” nicht. Denn wenn ich in meinen Job investiere, habe ich weniger Zeit für meine Familie und umgekehrt. Und einen weiteren Aspekt möchte ich betonen: Ohne die Unterstützung meines Teams und des Vorgesetzten klappt es auch nicht. Das vergisst man gern, aber gute berufliche Leistungen sind immer auch Gemeinschaftsleistungen.

 

Welche Bedeutung hatten oder haben für Sie Vorbilder?

Ich hatte keine für die Frage, wie es mit Kindern und Karriere gehen kann. Traurig, aber wahr. Ich wusste nur, was ich nicht wollte: Nach der Elternzeit die mühsam aufgebaute Position im Unternehmen wieder zurückerobern oder in die Teilzeitfalle rutschen. Und mein Mann wollte als Vater präsent sein.

Dabei wäre es so wichtig, ein bisschen mehr darüber zu erfahren, wie es andere Frauen und Männer gemeistert haben, trotz Familie beruflich am Ball zu bleiben – und umgekehrt. Daher liegt mir das Thema am Herzen; vielleicht finden junge Frauen unser Modell ja hilfreich.

 

Auch Sie sind als Frau in einer Führungsposition Vorbild und Inspiration für andere  – was möchten Sie anderen Frauen gerne mitgeben?

Eine Familie zu gründen ist – zumindest für Frauen – beruflich leider nicht hilfreich. Dessen sollte man sich erstmal bewusst sein. Es funktioniert meiner Meinung nach dann gut, wenn beide Partner die Herausforderungen dieser beiden Rollen gleichmäßig tragen. Dann schafft man eher den Spagat zwischen dem Zeitanspruch, den die meisten Jobs mit sich bringen, und einer erfüllenden Mutter- und Vaterrolle.

Und, nicht zuletzt, egal ob mit Familienpflichten oder ohne: Richtig gute Arbeit abliefern und dafür sorgen, dass sie gesehen wird – und für dieses Selbstmarketing auch die nötige Zeit investieren.

 

Dieses Interview ist in Auszügen auch auf der Homepage der

herCAREER erscheinen: http://www.her-career.com/maike-kolbeck/

 

Weitere Interviews mit Führungsfrauen der BVK:

Karriere-Talk mit Birgit Derks, BVK

Das Token-Phänomen: Führungsfrauen unter Beobachtung

„Es liegt nicht an den Frauen“

Die Süddeutsche Zeitung setzt auf unsere Expertise! Am 19.08.2017 ist in der Wochenendeausgabe einer der renommiertesten Tageszeitungen Deutschlands ein  substantielles Interview erschienen, das SZ-Autorin Gunda Achterhold mit MFF-Initiatorin Simone Schönfeld geführt hat. Darin geht es um die besondere Sichtbarkeit von Frauen in Führungspositionen, den daraus resultierenden Druck und darum, wie Unternehmen in Zukunft Führungspositionen gestalten müssen, damit sie für die nachfolgenden Generationen überhaupt noch attraktiv sind – sowohl für Männer als auch für Frauen.

 

Zum Nachlesen folgt hier noch einmal der Beitrag aus der Süddeutschen Zeitung:

 

„ES LIEGT NICHT AN DEN FRAUEN“- Wie Unternehmen weibliche Führungskräfte fördern können

 

Simone Schönfeld ist Mitbegründerin der Unternehmensberatung Cross Consult. 2010 initiierte sie zusammen mit dem Referat für Wirtschaft und Arbeit der Landeshauptstadt München ein “Memorandum für Frauen in Führung“. Namhafte Unternehmen haben sich daran beteiligt und sich verpflichtet, mehr “Mixed Leadership” in ihren Firmen zu verankern. Das Buch “Clever aus der Abseitsfalle. Wie Unternehmen den Wandel zu mehr Frauen in Führung gestalten wollen” von Schönfeld und Nadja Tschirner ist gerade im Verlag Springer Gabler erschienen.

 

SZ: Frau Schönfeld, was zeichnet Unternehmen aus, in denen besonders viele Frauen in Führung sind?

Simone Schönfeld: Wer Frauen Zugänge eröffnen will, muss alle bestehenden Strukturen in den Blick nehmen. Mentoring, Trainings oder interne Netzwerke zur gegenseitigen Unterstützung sind wichtige Maßnahmen auf persönlicher Ebene. Aber es liegt eben nicht an den Frauen allein. Arbeitszeitmodelle, Präsenzzeiten, Beurteilungsverfahren – auf allen Ebenen müssen die Rahmenbedingungen überprüft werden. So sind zum Beispiel Auslandsaufenthalte als Muss-Kriterium im Talentmanagement oft schwierig für Frauen mit Partner oder Familie. Sie sehen das eher als Hürde.

 

Etliche Top-Managerinnen sind in den letzten Jahren gescheitert. Woran liegt das?

Minderheiten fallen stärker auf, wir sprechen von dem “Token-Phänomen“. Frauen an der Spitze sind extrem sichtbar, sie erfahren viel mehr Aufmerksamkeit als ihre männlichen Kollegen. So entsteht Druck. Niemandem, selbst in so hohen Positionen, wird immer alles gelingen. Der Unterschied liegt darin, wie es diskutiert und in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

 

Gilt das auch auf anderen Ebenen?

Überall dort, wo sich Frauen in einem sehr männerlastigen Umfeld bewegen, etwa auch im Mint-Bereich. Grundsätzlich beobachten wir im unteren und mittleren Management jedoch deutliche Fortschritte. Die Quote der Frauen in Teamleitungspositionen hat sich stark erhöht – sie schließen schon fast gleich auf. Dieser positive Trend setzt sich allerdings auf exponierteren Positionen nicht durch.

 

Und warum geht es dann einfach nicht weiter?

Führungspositionen sind ein rares Gut. Und damit natürlich auch umkämpft. Diejenigen, die nach 18 Uhr noch da sind, setzen die Standards. Daran hat sich in vielen Unternehmen noch nichts geändert. Wer eher geht, fällt heraus aus der Zielgruppe jener, die als ambitionierte Nachwuchskräfte gehandelt werden.

 

Sehen Sie positive Entwicklungen?

Es ist schon einiges in Bewegung. Beispielsweise dort, wo Mitarbeiter in globalen Teams arbeiten. Über Länder und Zeitzonen hinweg entstehen andere Freiräume und damit mehr Flexibilität. Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten können hier das Management von Teams, in denen Vollzeit und Teilzeit gearbeitet wird, vereinfachen. Damit werden Kriterien wie die Präsenz vor Ort oder auch das Geschlecht zweitrangig. Dafür werden Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit immer wichtiger – traditionelle Stärken von Frauen.

 

Diese zeitliche Flexibilität schätzen zunehmend auch junge Männer. Ist das nicht eine Generationenfrage?

Der Bruch kommt mit dem ersten Kind, das zeigen Studien ganz klar. Während Frauen Arbeitszeit reduzieren, zeigen Männer ein traditionelles Ernährerverhalten und arbeiten mehr – auch wenn sie das eigentlich gar nicht wollen. Dieses Dilemma können Unternehmen individuell nicht lösen. Wenn das oberste Management ein partnerschaftliches Miteinander vorlebt und vielleicht selbst in Elternzeit geht, ist das jedoch ein starker Treiber für kulturelle Veränderungsprozesse.

 

Aber genau diese partnerschaftlich orientierten Kräfte wollen gar nicht mehr an die Spitze, Frauen wie Männer.

Tatsächlich bewerben sich intern immer weniger Mitarbeiter um Führungspositionen – das gilt für beide Geschlechter. Für die Unternehmen ist das eine riesige Herausforderung, gerade im Hinblick auf den demografischen Wandel. In den nächsten Jahren werden im Management viele Stellen frei. Da sehe ich allerdings auch ein enormes Potenzial. Wie lässt sich Führung so gestalten, dass sie für die nachwachsenden Generationen wieder attraktiv ist? Unternehmen werden gezwungen sein, darüber nachzudenken. Und damit eröffnen sich auch für Frauen neue Perspektiven.

 

Interview: Gunda Achterhold, Süddeutsche Zeitung

SZ-Artikel “Es liegt nicht an den Frauen” als PDF

 

Hier geht’s zu einem Interview mit euer Führungsfrau der BVK, die vom Token-Phänomen berichtet:

Das Token-Phänomen: Führungsfrauen unter Beobachtung

 

Einen weiteren Beitrag von Simone Schönfeld zum Thema Frauenförderung gibt’s hier:

Frauenförderung endet nicht bei den Frauen!

 

Und was eine gute Führungskraft im Zeitalter der Digitalisierung ausmacht, lest ihr in diesem Beitrag:

Was heisst führen heute?

 

New Work – Über die Arbeitswelt von morgen

Diese Herausforderungen und Chancen bringt die Arbeitswelt von morgen für Mitarbeiter und Führungskräfte

 

Die Arbeitswelt ist im Wandel. Digitalisierung, Globalisierung, neue agile Formen des Projektmanagements und weitere Trends führen zur Herausforderung Arbeitsbeziehungen neu zu gestalten. Theoretisch können im Zeitalter der Digitalisierung Mitarbeiter ihre Arbeit von beinahe jedem beliebigen Ort zu jeder beliebigen Zeit leisten– praktisch hinkt das Angebot der Unternehmen noch hinterher. Doch immer mehr wagen den Wandel und zeigen wie die Arbeitswelt von morgen den Bedürfnissen der Mitarbeiter gerecht wird und dabei Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit steigert.

 

Katja Börkey-Thele, arbeitet und führt als Line Managerin bei Nokia virtuell. Ihr Team ist international und gerade deshalb hat sie die Freiheit überall – im Büro, zu Hause oder auf Reisen – zu arbeiten. Fachlich kümmert Sie sich um Integrationsaufgaben im Rahmen der Übernahme von Alcatel-Lucent und koordiniert darüber hinaus das Management ihres Bereichs am Standort Berlin. Für diese Aufgaben konferiert Katja Börkey-Thele den Hauptteil ihrer Arbeitszeit über unterschiedlichste elektronische Informationskanäle. 40 bis 60 % ihrer Arbeit erledigt sie zu Hause.

 

Katja Börkey-Thele erlebt eine flexible Arbeitswelt, die sich viele Mitarbeiter wünschen aber für die meisten noch Zukunftsmusik ist.  Die letzte XING-Arbeitnehmerstudie zeichnet ein ganz anders Bild der deutschen Arbeitsrealität. 38% der Arbeitnehmer können ihre Arbeitszeit noch nicht einmal innerhalb der vertraglich geregelten Wochenarbeitszeit frei gestalten. Jeder Fünfte soll zudem über die vereinbarte  Arbeitszeit nach Gutdünken der Vorgesetzten zur Verfügung stehen.

Statt flexiblen Arbeitsmodellen herrschen in vielen Unternehmen immer noch Präsenzkultur und Kontrolle.  Starre Muster passen aber kaum mehr zu den Anforderungen an Unternehmen, die die besten Mitarbeiter für sich gewinnen und im Wettbewerb mit Innovation bestehen möchten.

 

Wie verändert sich Arbeit für den Mitarbeiter in der digitalen Arbeitswelt und wie kann er dabei unterstützt werden?

 

Räumlich und zeitlich flexible Arbeit – wann ich will und wo ich will

Mitarbeiter werden in Zukunft zunehmend zeitlich und örtlich flexibel arbeiten können. Für den einzelnen Mitarbeiter ist damit ein großer persönlicher Freiraum verbunden, seinen Bedürfnissen nach Freizeit, Familytime und Selbstverwirklichung individuell nachzukommen. Gleichzeitig ist er aber auch damit konfrontiert, selbst eine Grenze zwischen Freizeit und Arbeit zu ziehen und sich eigenverantwortlich zu strukturieren und zu organisieren – Fähigkeiten, die im klassischen Nine to Five Bürojob nicht in diesem Maße gefordert waren.

 

Virtuelle Arbeitsteams – oder der Abschied vom Austausch in der Cafeteria 

Virtuelle Teams, die sich wie bei Katja Börkey-Thele kaum persönlich begegnen sind gefordert, Absprachen und Teamarbeit mit Onlinetools zu organisieren. Neben der großen Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes und der freien Wahl der Arbeitszeit gilt es also auch die früher selbstverständliche Kommunikation zu organisieren. Mitarbeiter im Homeoffice verabreden sich über Skype oder andere Messenger-Dienste zur einer Videokonferenz, Führungskräfte überblicken mit einer Software für Projektmanagement den Arbeitsfortschritt von Teammitgliedern am anderen Ende der Welt. Was früher selbstverständlich face to face – auch mal in der Cafeteria oder auf dem Gang – besprochen wurde, wird mit technischen Hilfsmitteln instrumentalisiert und findet nicht mehr spontan statt.

 

Umgang mit Diversity – viele Impulse fördern die Kreativität

Gerade in globalen Teams ist die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern aus verschiedenen Ländern und Kontinenten selbstverständlich geworden. Der immer größere Anteil, den Frauen an der hochqualifizierten Mitarbeitergruppe haben, und die Notwendigkeit verschiedene Perspektiven und Impulse z.B. in die Produktentwicklung einfließen zu lassen, machen den täglichen Umgang mit diversen Teams notwendig. Diversity-Kompetenz, also Wertschätzung für unterschiedliche Herangehensweisen und unterschiedliche Blickwinkel, ist grundsätzlich notwendig, um das Potenzial, das in gemischten Teams liegt, heben zu können. Der einzelne Mitarbeiter ist gefordert sich auf neue Perspektiven einzulassen und gewohnte Denkmuster zu überwinden. Statt Anpassung an bestehende Sicht- und Herangehensweisen ist der Mut zu Neuem gefordert. Ein komplexes Thema, zu dem kürzlich eigens das Fachbuch „Clever aus der Abseitsfalle. Wie Unternehmen den Wandel zu mehr Frauen in Führung gestalten“ erschienen ist.

 

Begleitende Workshops, Schulungen und Coachings sind sinnvoll, um keine Generation – gerade die, die noch nicht als Digital Native aufgewachsen ist – mit modernen Kommunikationstechniken abzuhängen. Auch steigende Anforderungen an das Zeitmanagement, die Selbstoptimierung und die Reflektion von Gewohntem, erfordern Fähigkeiten, auf denen bisher kein Fokus lag. Eine Chance für junge Mitarbeiter, deren Ausbildung entsprechende Kompetenzen schon verstärkt in den Blick nimmt.

 

Wie können Führungskräfte diese bunten Teams in eine sinnvolle Richtung führen? 

 

Die Herausforderungen sind klar:

  1. Statt im täglichen persönlichen Kontakt den Arbeitsfortgang zu besprechen, sitzt der Mitarbeiter nicht mehr in unmittelbarer Nähe. Die Struktur des Arbeitstages entzieht sich der Kontrolle und der Begleitung durch die Führungskraft
  2. Die Häufigkeit und der Umfang der Abstimmung ist notgedrungen fokussiert und episodisch, statt umfassend und begleitend.
  3. Statt das Team auf eine einheitliche Sichtweise einzuschwören, liegt der Mehrwert gerade in der Unterschiedlichkeit und der Vielfalt der Impulse.

 

Die Führung dieser Teams kann in Zukunft nur dann gelingen, wenn Führungskräfte akzeptieren, dass die Planbarkeit von Arbeit und Prozessen sinkt. Es muss eine grundsätzliche Bereitschaft entstehen, Mitarbeiter einfach mal machen zu lassen und ihnen auch Fehlern zuzugestehen, durch die sie sich zu selbstdenkenden Köpfen entwickeln können. Das Festhalten an der absoluten Autorität und die reflexhafte Abwehr gegenüber neuen Ansätzen müssen überwunden werden. Die Rolle von Führungskräften ändert sich damit fundamental. Statt Kontrolle und Durchsetzungsfähigkeit sind nun Kommunikations- und Koordinationsfähigkeiten gefordert, ebenso wie das emphatische Eingehen auf Mitarbeiter und die Fähigkeit Loszulassen. Voraussetzung sind nachvollziehbare Ziele in den Arbeitsbeziehungen und transparente Vereinbarungen, die eine Basis für Vertrauen schaffen.

 

Mit der „New Work“-Welt bekommen traditionelle Werte wie Vertrauen eine neue entscheidende Relevanz. Nur wer als Führungskraft in der Lage ist, eine vertrauensvolle, dialogfähige und konstruktive Atmosphäre der Zusammenarbeit zu schaffen, kann den Herausforderungen gerecht werden. Die freie Gestaltung von Arbeitszeiten und die freie Wahl des Arbeitsortes sind dem gegenüber schnell und unproblematisch zu organisieren. Eine gemeinsame Kultur der Wertschätzung für Vielfalt und eine Basis des Vertrauens zu etablieren, stellt die wahre Herausforderung dar.

 

 

Autorin: Simone Schönfeld

(Dieser Artikel ist am 12.04.2017 auch als Gastbeitrag im Business Insider erschienen)