Teilzeit – weil es guttut

Plötzlich sind sie da: Schlüsselerlebnisse, die das Leben auf einmal verändern können. Entweder in Form von Schicksalsschlägen, die ein „weiter so“ unmöglich machen. Oder durch die intrinsische Erkenntnis, dass ein „weiter so“ nicht glücklich macht. Bei Hans Dahlke war es eine Mischung aus beidem beziehungsweise führte das eine zum anderen. Seitdem arbeitet der Senior HR Business Partner der Münchner Wohnungsbaugesellschaft GEWOFAG in Teilzeit und führt ein glücklicheres Leben. Ein MFF-Interview über die wirklich wichtigen Dinge im Leben…

 

MFF: Was ist im Jahr 2017 bei Ihnen passiert?

Hans Dahlke: Es war ein Jahr des Umdenkens für mich. Ich hatte gerade eine harte Zeit hinter mir. Meine Mutter, mein Vater und meine Tante sind verstorben. Pflegearbeit, emotionale Momente, intensive Situationen und jede Menge Bürokratie sind dem vorangegangen – ebenso ein Schlüsselerlebnis mit meinem kranken Vater: Es war eine total schwierige Nacht. Ich musste alle 15 Minuten aufstehen und war am nächsten Tag fix und fertig. Trotzdem saß ich am nächsten Tag in der Arbeit und dachte: „Es war so wertvoll, dass ich diese Nacht für meinen Vater da war.“ Da wurde mir bewusst, dass mir mein Job zwar wichtig ist und Spaß macht, aber dass andere Dinge noch viel mehr zählen. Ich war 45, in der Mitte des Lebens und kam zum Nachdenken: Was ist mir wirklich wichtig? Wie möchte ich meine Zeit, die auch so schnell zu Ende sein kann, sinnvoll nutzen? Letztendlich bin ich auf der Erde, um das Leben zu genießen. Und was muss ich ändern, damit ich das kann?

Das war meine Initialzündung zu sagen: Ich möchte mehr Zeit mit meiner Frau und meinen Sohn verbringen, aber auch weniger Stress und mehr Ruhe für mich haben! Also habe ich auf meine Führungsposition verzichtet und Teilzeit beantragt.

 

Sie haben von heute auf morgen gesagt: Tschüss Karriere?

Naja, so einfach war es nicht, aber es hat sich eine günstige Gelegenheit ergeben: Durch eine Umstrukturierungsmaßnahme wurde mein Sachgebiet Personalmanagement mit dem Sachgebiet Personalentwicklung zusammengelegt, meine Kollegin hat die Leitung übernommen und mir wurde eine adäquate Business Partner Stelle angeboten. Zusätzlich habe ich meine Arbeitszeit so gekürzt, dass ich einen freien Tag pro Woche habe.

 

Wie sieht ihr freier Tag aus?

Der beginnt mit Ausschlafen, Genießen und Zeitunglesen. Ich telefoniere mit Freunden und Verwandten, werkle am Haus oder im Garten, verbringe die Mittagspause mit meiner Frau und nehme mir einfach Zeit für Dinge, die mir Spaß machen. Um halb vier hol ich unseren 8-jährigen Sohn von der Schule ab. Dann spielen wir draußen Fußball oder drinnen mit der Modelleisenbahn. Seit ich diesen zusätzlichen freien Tag habe, bin ich entspannter, ist die Familie entspannter und unser Leben entspannter…

 

Was hat sich im Job für Sie verändert?

Interessanterweise nicht viel. Gut, die Führungsaufgaben sind weggefallen, aber ich kann nicht feststellen, dass ich auf die gesamte Woche betrachtet weniger abarbeiten würde.

 

Wie waren die Reaktionen aus dem Umfeld auf Ihr neues Arbeitsmodell?

Ich hatte anfangs bedenken, öffentlich zu sagen: ich trete kürzer, weil ich mehr Zeit für mich haben möchte. Das ist unter Männern eher untypisch und ich hatte Angst als faul zu gelten. Aber das hat sich überhaupt nicht bewahrheitet. Im Gegenteil! Ein Freund hat gesagt: Mensch, du machst das genau richtig!

 

Unter Frauen sind Teilzeit-Modelle absolut angesehen – und das nicht nur unter Mütter. Warum ist das unter Männern anders?

Ich glaube, dass Frauen mehr auf sich hören und wahrnehmen, was ihnen im Kern wichtig ist. Männer fokussieren häufig ein Ziel und rauschen dann über manche Anzeichen – sei es körperlicher Art, im Erleben oder im Erfahren – blind hinweg.

 

Bei der jüngeren Generation scheint das anders zu sein. Das Thema Work-Life-Balance steht hoch im Kurs – bei Frauen wie Männern. Haben Sie das aus Sicht der Personalabteilung schon konkret zu spüren bekommen?

Wir haben gerade einen jungen Mann eingestellt, der von Anfang an gesagt hat, er möchte Zeit für seine Familie haben und eine Nebentätigkeit ausführen und deshalb bei uns in Teilzeit arbeiten. Das finde ich sehr mutig und zeigt den Zeitgeist. Das hätte ich mich beim Vorstellungsgespräch nicht getraut.

 

Warum haben Sie ihn eingestellt?

Erstens war er einfach gut. Zweitens ist der Markt derzeit eng. Drittens finde ich diese Haltung begrüßenswert. Solche Leute brauchen wir im Unternehmen. Zumal wir immer mehr erleben, dass Teilzeit nicht automatisch im Verhältnis proportional weniger Arbeitsleistung bedeutet. Ich habe erst vor kurzem wieder die Rückmeldung aus einer Abteilung bekommen, die eine Frau in Teilzeit neu eingestellt hatten, dass sie mindestens so viel leistet wie eine Vollzeitkraft. Sie erledigt vieles schneller oder verbringt zehn Minuten weniger beim Kaffee mit Kollegen, weil sie weiß, dass sie bis zu einer bestimmten Uhrzeit fertig sein muss, um ihr Kind abholen zu können. Bei Teilzeitkräften ist häufig die intrinsische Motivation sehr hoch, die vorhandene Zeit optimal zu nutzen.

 

Was trägt ihr Unternehmen dazu bei, dass Mitarbeiter Beruf und Privatleben besser vereinen können?

Wir haben ein sehr flexibles Arbeitszeitsystem, das z.B. auch mir während der intensiven Zeit mit meinen kranken Eltern entgegenkam. Selbst wenn in der Kernzeit etwas dazwischenkommt, kann man immer mit dem Vorgesetzten sprechen und individuelle Lösungen finden. Außerdem haben wir die Möglichkeit, Homeoffice in Anspruch zu nehmen und – was für meinen Sohn und mich noch besser funktioniert – Familienbüros. Die Familienbüros sind mit Spielsachen und Arbeitsplätzen ausgestattet. Mein Sohn liebt es, mich in den Ferien gelegentlich in die Arbeit zu begleiten. Wobei er meistens die Spielsachen in mein Büro mitnimmt. Wir haben da schon unsere Rituale: vormittags kommt der Brotzeitmann mit Gemüsesticks. Mittags bestellen wir Pizza. Er spielt, malt oder schaut mir einfach bei der Arbeit zu. Das funktioniert besser als zu Hause zu arbeiten, wenn er nicht in der Schule ist.

 

Ihr Tipp für alle Männer, die Ihnen nachziehen wollen, aber sich nicht trauen?

Nehmt euch immer wieder Zeit, von der beruflichen Rennbahn Abstand zu nehmen und darüber nachzudenken, was EUCH wirklich wichtig im Leben ist. Dann kommt der Mut, die Motivation und die Freude an dem, was man dann tut oder verändert von alleine.

 

Interview: Julia Schmid

 

Die GEWOFAG hat im September 2015 das Memorandum für Frauen in Führung unterzeichnet. Damit bekennt sie sich zu den 15 Punkten der freiwilligen Selbstverpflichtung für mehr Frauen in Führung. Ein Aspekt ist die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Die GEWOFAG setzt sich dafür ein, indem sie Arbeitszeitmodelle wie Teil- oder Gleitzeit ermöglicht, Krippenplätze bereitstellt und betriebliche Sozialberatungen anbietet. 2015 wurde die GEWOFAG dafür mit dem Qualitätssiegel zum audit berufundfamilie von berufundfamilie gGmbH ausgezeichnet.Die GEWOFAG ist eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft und mit ca. 35.000 Wohnungen Münchens größte Vermieterin. Sie stellt seit rund 90 Jahren den Münchner Bürgerinnen und Bürgern Wohnraum zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung und bietet damit Alternativen im angespannten Münchner Wohnungsmarkt. Neben Neubau und Vermietung sind die Sanierung und Instandsetzung des Wohnungsbestands die wichtigsten Aufgaben der GEWOFAG.

Zu einem weiteren Beitrag über die GEWOFAG:

Die GEWOFAG engagiert sich aktiv für Mixed Leadership auf allen Führungsebenen

 

Und hier erzählt ein Mitarbeiter eines anderen MFF-Unternehmens – Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG – wie er Job und Familie vereinbart:

„Elternzeit ist kein Karrierehemmnis“